Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-2008-1082353
Editorial

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Was ist speziell an der spezialisierten Palliativversorgung?

Der Gemeinsame Bundesausschuss legt Beschlüsse zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung vor
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Publication Date:
11 July 2008 (online)

 

Prof. Lukas Radbruch, Aachen

Prof. Raymond Voltz, Köln

Die Entwicklung der Palliativmedizin in Deutschland ist im Aufschwung. Mittlerweile sind 273 stationäre Hospize und Palliativstationen mit 2292 Betten im Wegweiser Hospiz und Palliativmedizin aufgeführt (1).

Im Vergleich zur stationären Versorgung ist die ambulante Palliativversorgung jedoch noch rudimentär.

Im Wegweiser sind zwar mehr als 1040 ambulante Dienste gemeldet, jedoch sind dies in der Mehrzahl ambulante Hospizdienste, die eine professionell koordinierte psychosoziale Begleitung durch ehrenamtliche Mitglieder anbieten. Nur wenige ambulante Palliativpflegedienste oder Palliative-Care-Teams (PCT) können eine vollständige Palliativversorgung mit 24-Stunden-Erreichbarkeit gewährleisten. Diese Defizite im ambulanten Bereich führen dazu, dass im Atlas der European Association for Palliative Care Deutschland deutlich schlechter bewertet wird als andere westeuropäische Länder (2,3).

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbes in der Gesetzlichen Krankenversicherung (WSG) im April 2007 steht die Entwicklung der ambulanten Palliativversorgung nun aber vor einer Wende. Im WSG wird durch den neu eingeführten §37b im Sozialgesetzbuch V ein Leistungsanspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung eingeführt, der nicht nur ärztliche und pflegerische Leistungen umfasst, sondern auch die Koordination der einzelnen Teilleistungen. Damit wird die Grundlage für den Ausbau der ambulanten Versorgung auf einer gesicherten finanziellen Basis gelegt. In der Umsetzung bleibt jedoch noch viel zu regeln: Welche Patienten können die Leistungen in Anspruch nehmen, welche Anbieter sind qualifiziert für die Durchführung, was soll diese Versorgung umfassen?

Die Regelungen zu den Voraussetzungen für den Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung sowie zu Inhalt und Umfang der Versorgung wurden dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) übertragen. Der G-BA hat nun im Dezember 2007 die Erstfassung der Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung beschlossen (4).

Der G-BA sieht die Notwendigkeit einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gegeben für Patienten mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden Erkrankung mit begrenzter Lebenser-wartung, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen. Als Anhaltpunkt für eine besonders aufwändige Versorgung wird das Vorliegen eines komplexen Symptomgeschehens beschrieben, dessen Behandlung spezifische palliativmedizinische und/oder palliativpflegerische Kenntnisse und Erfahrungen sowie ein interdisziplinäres Konzept voraussetzt.

Die SAPV umfasst alle Leistungen der ambulanten Krankenversorgung, die erforderlich sind, um Lebensqualität und Selbstbestimmung der Patienten zu erhalten oder zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in der vertrauten häuslichen Umgebung oder im Pflegeheim zu ermöglichen. Neben den diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gehören dazu auch die Koordination der beteiligten Einrichtungen und Behandler und die Vorhaltung einer kontinuierlichen Ruf-, Notfall- und Kriseninterventionsbereitschaft für die betreuten Patienten.

Bemerkenswert ist an dem Beschluss, dass ausdrücklich eine abgestufte Versorgung ermöglicht wird, die dem jeweiligen aktuellen Versorgungsbedarf entsprechend als Beratung, als Koordination der Versorgung, als unterstützende Teilversorgung oder als Übernahme einer kompletten Versorgung durch die spezialisierten Dienste erbracht werden kann. Dies ermöglicht eine flexible Versorgung, die an die Bedürfnisse der Palliativpatienten angepasst werden kann.

Insbesondere in ländlichen Gebieten werden spezialisierte Dienste nur mit einem großen Einzugsbereich kostendeckend arbeiten können, wobei die Entfernungen dann eine vollständige Übernahme der Versorgung nur in Ausnahmefällen gestatten werden, aber durch die Übernahme der Versorgung durch einen nicht spezialisierten Pflegedienst und den Hausarzt mit kontinuierlicher Beratung und Anleitung durch ein Palliative-Care-Team eine flächendeckende Versorgung erreicht werden kann.

Positiv zu bewerten ist auch der Verzicht auf einen Zeitrahmen für die SAPV. Zwar ist im Beschluss die Rede von einer Lebenserwartung im Bereich von Tagen, Wochen oder Monaten, jedoch wird dazu ausgeführt, dass auch bei einer länger prognostizierten Lebenserwartung SAPV als Krisenintervention erforderlich sein kann.

Neben diesen aus palliativmedizinischer Sicht erfreulichen Formulierungen lässt der G-BA mit dem Beschluss noch einige Fragen offen. Insbesondere fehlt eine Beschreibung der Qualifizierung der Leistungserbringer. Hierzu wird auf §132d im Sozialgesetzbuch V verwiesen. Dort ist aber nur ausgeführt, dass die Krankenkassen entsprechende Verträge mit geeigneten Personen oder Einrichtungen abschließen, soweit dies für die bedarfgerechte Versorgung notwendig ist.

Während in früheren Entwürfen noch explizit multiprofessionelle Palliative-Care-Teams als Leistungserbringer genannt wurden, werden die PCT jetzt nur noch in der Begründung zum Beschluss genannt (5), ansonsten aber nur schriftliche oder gar nur mündliche Kooperationsvereinbarungen zwischen den Leistungserbringern gefordert.

Zu den offenen Fragen ist also nun eine Regelung erst im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zu erwarten. Dabei kann viel von den positiven Formulierungen im Beschluss des G-BA wieder verloren gehen. Wenn dort die Beteiligung von anderen Berufsgruppen und Dienstleistern wie Seelsorger, Sozialarbeiter und ambulante Hospizdienste gefordert wird, ist nicht klar, ob dafür ausreichende Honorare vorgesehen sind. Ebenso wird die Koordination der Versorgung zwar eingefordert, es ist aber zu befürchten, dass diese Koordination nicht honoriert und damit auch nur sehr eingeschränkt angeboten werden kann.

Schon jetzt ist zu erkennen, dass bereits im Vorfeld Probleme mit Konkurrenzangst und Machtkämpfen auftreten. Von verschiedenen Seiten werden Führungsansprüche in der SAPV angemeldet. Palliativstationen, niedergelassene qualifizierte Palliativärzte, Onkologen, Hausärzte, Palliativpflegedienste und Case-Manager möchten die Koordination der Behandlung übernehmen. Es ist zu befürchten, dass das Streben nach Einfluss-bereichen und die Verteilung von Pfründen auch die schon existierende Vernetzung und Kooperation zwischen Einrichtungen und Diensten in der ambulanten Palliativversorgung empfindlich stören kann.

Über die Vertragsgestaltung hinaus gilt aber: Die spezialisierte Palliativversorgung braucht interdisziplinäre Zusammenarbeit und ein multiprofessionelles Team. Wie wird in der praktischen Umsetzung diese Zusammenarbeit gelebt, und wie kann sichergestellt werden, dass das Team nicht nur virtuell, mit einer eventuell nur mündlichen Kooperationsvereinbarung, aber ohne gemeinsame Therapieplanung und Zielfestlegung, arbeitet?

Ob in den neu entstehenden Einrichtungen und Versorgungsstrukturen eine ausreichende Qualität der Versorgung gewährleistet werden, wird entscheidend davon abhängen, welche Anforderungen zur personellen und strukturellen Qualität in den Verträgen umgesetzt werden. Nur eine hohe Struktur- und Prozessqualität, z.B. mit klaren Vorgaben zu Personalschlüsseln und Kooperationspartnern, sichern eine gute Ergebnisqualität.

Mit der Umsetzung der gesetzlichen Regelung steht eine große Aufgabe für die Palliativmedizin und Hospizbewegung in Deutschland an. Netzwerke müssen entwickelt werden, die auch in ländlichen Bereichen mit schlechter Infrastruktur eine ambulante Palliativversorgung vorhalten. Eine bedarfsgerechte Versorgung muss für alle Patienten, die sie benötigen, gewährleistet werden, für Tumorpatienten wie auch für Nichttumorpatienten, und auch für Patientengruppen mit besonderem Bedarf wie Kinder, Jugendliche und alte Menschen.

In der täglichen Arbeit, in der Begleitung der Patienten kann dabei kein Zweifel bestehen, dass die Qualität der Arbeit eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen der palliativmedizinischen Versorgung ist. Für die betreuten Patienten und ihre Angehörigen wird deshalb von entscheidender Bedeutung sein, ob mit der Ausbreitung in die Fläche eine ausreichende Qualität gehalten werden kann.

Literatur bei den Autoren

Prof. Lukas Radbruch, Aachen,

Email: LRadbruch@ukaachen.de

Prof. Raymond Voltz, Köln

Nachdruck aus: Der Schmerz 2008; 22 (1): 7-8, Springer Medizin Verlag GmbH

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