Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(6): 456-463
DOI: 10.1055/s-2008-1081393
Fachwissen
Topthema: Lungenprotektive Beatmung
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Assistierte Spontanatmung: physiologische Grundlagen und protektive Effekte

Lung Protective Ventilation – Protective Effect of Adequate Supported Spontaneous BreathingChristian Putensen, Thomas Muders, Stefan Kreyer, Hermann Wrigge
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Publication Date:
18 June 2008 (online)

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Zusammenfassung

Aufgrund vorliegender Daten kann empfohlen werden, die maschinell unterstützte Spontanatmung bei Patienten auch in der akuten Phase der respiratorischen Insuffizienz anzuwenden, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Experimentelle Daten zeigen, dass eine adäquat maschinell unterstützte Spontanatmung zu keiner beatmungsassoziierten Lungenschädigung beiträgt. Eine Erhöhung des transpulmonalen Drucks (PTP) infolge Spontanatmung ist in den abhängigen zwerchfellnahen Lungenregionen zu erwarten und trägt zur Rekrutierung initial nicht belüfteter Lungenregionen und dadurch zur Vermeidung des zyklischen Kollabierens und Wiedereröffnens von Alveolen bei. Insgesamt sollte daher ein lungenprotektiver Effekt durch Spontanatmung erwartet werden. Klinische Daten, die mit erhaltener Spontanatmung eine Verbesserung des Gasaustausches, des systemischen Blutflusses und der Organperfusion bei einer Reduktion der Beatmungstage und Intensivaufenthaltsdauer beobachteten, stützen dieses Konzept.

Summary

Based on available data, it can be suggested that spontaneous breathing during ventilator support has not to be suppressed even in patients with severe pulmonary dysfunction if no contraindications are present. Experimental data do not support the contention that spontaneous breathing aggravates ventilator–induced lung injury. During spontaneous breathing increase in PTP is maximal in the depended lung areas in adjunct to the diaphragm and causes recruitment of initially atelectatic lung areas thereby avoiding cyclic alveolar collapse and reopening. This should result in a lung protective effect of adequate supported spontaneous breathing. Clinical data supported this belief demonstrating improvement in pulmonary gas exchange, systemic blood flow, and oxygen supply to the tissue and a decrease in days on ventilator support and duration of stay in the intensive care unit.

Kernaussagen

  • Bei der assistierten maschinellen Beatmung (ACV) und der druckunterstützten Beatmung (PSV) wird jede spontane Inspirationsbemühung maschinell unterstützt.

  • Die Airway Pressure Release Ventilation (APRV) erlaubt eine ungehinderte Spontanatmung in jeder Phase des maschinellen Beatmungszykluses [7].

  • Während der Spontanatmung wird die Ventilation bevorzugt in die abhängigen Lungenregionen verteilt, die gleichzeitig auch mehr perfundiert sind. Bei der maschinellen Beatmung erfolgt die Distribution des Tidalvolumens (VT) überwiegend in die anterioren Lungenregionen, die geringer perfundiert sind [9]. Dies führt zu minder belüfteten bzw. atelektatischen Lungenarealen in den dorsalen zwerchfellnahen Lungenregionen.

  • APRV mit Spontanatmung war bei experimentell induziertem Lungenschaden mit einer geringeren Atelektasenbildung assoziiert als APRV ohne Spontanatmung.

  • Zwerchfellkontraktion bei Spontanatmung verbessert die Belüftung abhängiger und gut perfundierter Lungenareale und wirkt einer Atelektasenbildung entgegen.

  • Eine ungehinderte Spontanatmung unter APRV bei Patienten mit schwerem ARDS verbessert den den intrapulmonalen Shunt, das VA/Q–Verhältnis und die arterielle Oxygenierung [21]. Bei der druckunterstützten Beatmung (PSV) konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden.

  • Die erhaltene Spontanatmung während maschineller Atemhilfe reduziert den intrathorakalen Druck. Dadurch wird der venöse Rückstrom zum Herzen sowie die rechts– und die linksventrikuläre Füllung gefördert; das Herzzeitvolumen und die O2–Transportkapazität steigen [27]. Dies führt zu einer verbesserten Durchblutung der extrathorakalen Organe [29] [30] [31].

  • Die tidale Rekrutierung ist das Wiedereröffnen von Lungenarealen mit der nächsten Inspiration, also das zyklische Kollabieren und Wiedereröffnen von Alveolen.

  • Eine erhaltene Spontanatmung ist in der Lage, intitial kollabierte Lungenareale zu rekrutieren und kontinuierlich zu belüften.

  • Ein erhöhter transpulmonaler Druck und/oder Scherkräfte aufgrund von zyklischem Kollabieren und Wiedereröffnen von Alveolen belasten das Gewebe mechanisch und tragen zur beatmungsassoziierten Lungenschädigung mit Agravierung der pulmonalen und systemischen inflammatorischen Reaktion bei [42] [43].

  • Eine inadäquat starke inspiratorische Atemanstrengung bei einer nicht oder nicht ausreichend assistierten Spontanatmung könnte zu einer ausgeprägten Negativierung des PPL und zu einem Anstieg des PTP führen. Ein solchermaßen stark erhöhter PTP in Verbindung mit einer hohen Atemfrequenz könnte zu einer beatmungsassoziierten Lungenschädigung beitragen [44].

Literatur

Prof. Dr. med. Christian Putensen
Thomas Muders
Stefan Kreyer
PD Dr. med. Hermann Wrigge

Email: putensen@uni-bonn.de