Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - PP8
DOI: 10.1055/s-2008-1079094

Bindungserfahrungen von Müttern frühgeborener Kinder

J Reichert 1, R Wauer 1, M Rüdiger 2, A Bolm 1
  • 1Universitätsklinikum Charité Med. Fakultät d. Humboldt-Univ., Berlin
  • 2Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Kinderklinik, Dresden

Hintergrund: Für die Entwicklung frühgeborener und kranker neugeborener Kinder hat sich neben der Qualität intensivmedizinischer Versorgung eine beziehungsorientierte Pflege (NIDCAP) unter enger Beteiligung der Eltern als bedeutsam erwiesen.[1] Kernelemente sind Körperkontakt zwischen Kind und Eltern sowie Befähigung der Eltern, Entwicklungsimpulse des Kindes angemessen zu beantworten; Prozesse neurofunktioneller und -struktureller Differenzierung des Kindes werden mit Auswirkungen auf die Langzeitmorbidität unterstützt.[2] Insoweit stellt frühzeitiger Bindungsaufbau zwischen Eltern und Kind eine maßgebliche Entwicklungsbedingung dar. Allerdings sind bei Kindern mit erhöhtem medizinischen Risikostatus häufig auffällige Bindungsmuster Eltern-Kind zu beobachten, die die Kindesentwicklung beeinträchtigen können.[3] Als eine Ursache kommen auch intergenerationale Transmissionen von Bindungen in Frage; für Eltern und insbesondere Mütter frühgeborener Kinder liegen hierzu bislang wenige Erkenntnisse vor.[4] Fragestellung: Inwieweit unterscheiden sich Mütter frühgeborener von jenen termingeborener Kinder in ihren Bindungserfahrungen in der eigenen Herkunftsfamilie? Stichproben und Methode: An der Studie nahmen 22Mütter frühgeborener (FG) und 27Mütter termingeborener Kinder (TG) teil; erhoben wurden soziale Merkmale der Mütter, Merkmale der Kindesentwicklung und das erinnerte elterliche Erziehungsverhalten (FEE).[5] Ergebnisse und Diskussion: Die Mütter unterscheiden sich nicht in den sozialen Merkmalen (Alter, Ausbildung, Beruf, Familienstand); das Alter der Kinder zum Befragungszeitpunkt war annähernd gleich (FG=25±3 Monate; TG=29±4 Monate); erwartete Unterschiede fanden sich in den Geburtsparametern (FG: GA=30±3 SSW; GG=1255±280g; TG: GA=40±2 SSW; GG=3500±230g). In keiner Dimension des erhobenen erinnerten elterlichen Erziehungsverhalten unterschieden sich die Mütter frühgeborener von jenen termingeborener Kinder. Bei psychosozialen Interventionsangeboten kann daher von einem bindungsrelevanten Erfahrungshintergrund ausgegangen werden, der für Mütter frühgeborener und termingeborener Kinder ähnlich ist. [1] Als H. Program Guide: Newborn Individualized Developmental and Assessment Program (NIDCAP). Boston, MA: Children's Medical Center Corporation; 2006.

[2] Als H et al. Early experience alters brain function and structure. Pediatrics. 2004;113(4):846–857.

[3]Brisch KH. Prävention von emotionalen und Bindungsstörungen. In v. Suchodoletz W (Hrsg.). Prävention von Entwicklungsstörungen. Göttingen: Hogrefe;2007;170–188.

[4] Fremmer-Bombik E. Innere Arbeitsmodelle von Bindung. In Spangler G, Zimmermann P (Hrsg.). Die Bindungstheorie. Grundlagen, Forschung und Anwendung. Stuttgart: Klett-Cotta;1995;109–119.

[5] Schumacher J u.a. Fragebogen zum erinnerten elterlichen Erziehungsverhalten (FEE). Manual. Bern: Hans Huber; 2000.