Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - SEM11
DOI: 10.1055/s-2008-1079071

Besonderheiten der Versorgung III: Frühgeborene, Mehrlingsschwangerschaften

E Mildenberger 1
  • 1Kinderklinik, Klinikum der Johannes-Gutenberg Universität, Mainz

Rund 10% aller Neugeborenen sind Frühgeborene. Hauptursachen der Frühgeburtlichkeit sind vorzeitige Wehen und vorzeitiger Blasensprung, denen sehr oft eine Chorioamnionitis zugrunde liegt. Dann folgt die Mehrlingsgravidität. Umgekehrt sind Mehrlinge 6 x so häufig Frühgeborene wie Einlinge. Frühgeborene und Mehrlinge sind Risiko-Neugeborene. Daher hat der gemeinsame Bundesausschuß mit Wirkung zum 1. Januar 2006 Versorgungsstrategien entsprechend Gestationsalter, Geburtsgewicht und Mehrlingsstatus festgelegt. Kinder, die die jeweiligen Kriterien erfüllen, sollen pränatal in geeignete Einrichtungen verlegt werden. Die Geburt eines Frühgeborenen ist oftmals kalkulierbar. Man hat also Gelegenheit, sich vorzubereiten. Ist das Kind geboren, beginnt das ABC der Reanimation des Neugeborenen. Unter A werden initiale Maßnahmen und Sicherung des Atemweges subsummiert. Für sehr kleine Frühgeborene bedeutet dies die Lagerung des Kindes, so dass die Atemwege geöffnet werden (Schnüffelposition), ggf. nasales und orales Absaugen und die Applikation von Wärme (erhöhte Raumtemperatur, Heizstrahler, Wärmematratze, Mütze). Es besteht ein – wenngleich geringes – Risiko einer Hyperthermie. Daher muss die Temperatur gemessen werden! Im ABC der Neugeborenen-Reanimation folgt jetzt – sofern das Frühgeborene nicht selbst anfängt zu atmen – die Beatmung. Die Empirie lehrt, dass bei Frühgeborenen die Ventilation mit initialen Blähdrücken von 20–25cm H2O erreicht werden kann. Hebt sich der Thorax nicht, oder steigt die Herzfrequenz nicht über 100/min, kann der Blähdruck höher eingestellt werden. Um Barotraumata zu vermeiden ist es günstig, Vorrichtungen mit Druckbegrenzung zu verwenden. Es sollte nur so viel Druck aufgewendet werden, dass sich der Thorax gerade hebt. Die Anwendung von PEEP ist möglicherweise protektiv gegenüber einem Volutrauma. Eine große Zahl auch sehr kleiner Frühgeborener kann mit Maskenbeatmung stabilisiert werden. Möglicherweise kann durch die frühe Anwendung von Nasen-CPAP bereits im Kreißsaal spätere Beatmung vermieden werden. Bleibt das Frühgeborene nach den initialen Blähmanövern bradycard oder weist im Weiteren Zeichen der Ateminsuffizienz auf, sollte es intubiert werden. (Richtzahlen: 1kg Körpergewicht: Tubus 2,5mm, Einführlänge 8cm ab Naseneingang, 2kg Körpergewicht: Tubus 3mm, Einführlänge von10cm ab Naseneingang). Aus den Ergebnissen mehrerer Metanalysen der Cochrane Collaboration lässt sich ableiten, dass postnatal intubierte Frühgeborene <1500g innerhalb von 2 Stunden nach der Geburt Surfactant erhalten sollten. Es bleibt offen, ob diese Gabe bereits im Kreißsaal oder nach radiologischer Kontrolle der Tubuslage erfolgen sollte. Im ABC der Reanimation des Neugeborenen folgen nun die Punkte C für Kreislauf und D für Drugs, Medikamente. Auch für das sehr kleine Frühgeborene gilt: Beatmung ist der effektivste Schritt der Reanimation! Falls nach 30 Sekunden effektiver Ventilation – d.h. bei optimaler Lagerung, ausreichender Blähung der Lunge und adäquater Beatmung über Maske oder intratrachealen Tubus, sprich einer Beatmung die erreicht, dass sich der Thorax hebt – die Herzfrequenz <60/min bleibt, sind Thoraxkompressionen anzuwenden. Medikamente, das heißt im Wesentlichen Adrenalin, sind zur Reanimation des Frühgeborenen außerordentlich selten nötig. Da die Energiereserven des Frühgeborenen spärlich sind, sollte immer eine intravenöse Glukosezufuhr von 2–3ml Glukose10%/kg x h etabliert werden. Mehrlinge sind ein Kollektiv von Neugeborenen mit besonderen Risiken. Schwangerschaftskomplikationen, wie Plazentainsuffizienz, vorzeitige Wehen oder Blasensprung kommen bei Zwillingen 3 x häufiger vor als bei Einlingen. Zwillinge werden 3 Wochen früher geboren als Einlinge. Zwillinge weisen gegenüber Einlingen ein 4fach erhöhtes Fehlbildungsrisiko auf, haben häufiger Nabelschnurkomplikationen, regelwidrige Geburtslagen und Geburtstraumata. Diese Kombination bringt es mit sich, dass die perinatale Mortalität von Zwillingen um ein Vielfaches höher ist als bei Einlingen. Ein besonderes Risiko droht den monochorialen Zwillingen durch das fetofetale Transfusionsyndrom, dessen Häufigkeit in dieser Gruppe mit 4–40% angegeben wird. Beim hämodynamisch relevanten fetofetalen Transfusionssyndrom beträgt die perinatale Mortalität beider Zwillinge bis zu 90%! Mehrlinge und insbesondere frühgeborene Mehrlinge sind Höchstrisikoneugeborene, für die besondere Versorgungsstrukturen vorgehalten werden müssen. Für die Erstversorgung von frühgeborenen Mehrlingen sollte für jedes Kind eine neonatologische Ärztin oder Arzt und eine neonatologisch erfahrene Kinderkrankenschwester oder –pfleger bereitstehen. Das kann im Einzelnen bedeuten, dass für höhergradige Mehrlingsgeburten besondere Rufdienste eingerichtet werden müssen. Neben der Vorhaltung von Personal gehört zu den logistischen Vorbereitungen die Bereitstellung eigener jeweils komplett ausgerüsteter Erstversorgungsplätze – möglichst in warmer Umgebung.