Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - FV10
DOI: 10.1055/s-2008-1078797

Ursachen der postoperativen Azidose – neue Einsichten mit dem Säure-Basen-Modell nach Stewart

C Mann 1, U Held 2, S Herzog 1, O Bänziger 1
  • 1Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Kinderspital der Universitätsklinik Zürich, Zürich, Schweiz
  • 2Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer, Zürich, Schweiz

Hintergrund: Das physiko-chemische Säure-Basen-Modell nach Stewart besagt, dass eine metabolische Azidose durch ein Ungleichgewicht zwischen Kationen und Anionen und/oder durch die Produktion starker (Lactat) oder schwacher Säuren (Keto-Säuren, Säuren aus dem Zitronensäure-Zyklus u.a.) verursacht ist. Zufuhr von NaCl vermindert die physiologische Differenz zwischen Na+- und Cl- – Ionen, erzeugt eine relative Hyperchlorämie und damit eine Azidose. Lactat und die schwachen Gewebssäuren gelten als globale Parameter der Gewebeperfusion. Fragestellung: Wie bedeutsam sind eine Hyperchlorämie bzw. eine vermehrte Produktion von Gewebssäuren für die metabolische Azidose in den ersten 3 postoperativen Tagen? Wie beeinflusst das postoperative Management die Parameter des Säure-Basen-Haushalts? Methode: In einer retrospektiven Beobachtungsstudie wurden bei 119 kardiochirurgischen Patienten (Alter 10 Tage –15 Jahre, Gewicht 2,3–81,7kg) aus 746 Blutgas-Analysen und Elektrolytmessungen an 7 aufeinanderfolgenden Zeitpunkten (nach Aufnahme auf die Intensivstation und 4,8,12,24,48 sowie 72 Stunden postoperativ) die Strong Ion Difference und der Strong Ion Gap berechnet. Die Veränderungen dieser Größen sowie des Lactat-Werts wurden korreliert mit der Größe intravenös zugeführter Flüssigkeits-Boli bestehend aus NaCl 0,9%, mit der Menge der zugeführten Totalflüssigkeit (inklusive Transfusionen, oraler Flüssigkeitszufuhr) und auch mit dem Einsatz von Furosemid. Ergebnisse: Der Anteil der Hyperchlorämie an jenen Elementen, die eine Azidose verursachen, betrug zum Zeitpunkt der Übernahme auf die postkardiochirurgische Intensivstation 47%, 12 Stunden postoperativ 58%, 72 Stunden postoperativ nur noch 5%. Ein Flüssigkeits-Bolus aus NaCl 0,9% senkte – über den Weg der überproportional hohen Chlorid-Zufuhr – den Basen-Exzess um 0,07mmol/l pro verabreichtem Milliliter/kg KG. Die Menge der Totalflüssigkeit zeigte keine Korrelation mit dem ansäuernden Effekt relativ überhöhten Chlorids. Der Einsatz von Furosemid wirkte in Richtung einer hypochlorämischen Alkalose. Schlussfolgerungen: Für die metabolische Azidose im postoperativen Verlauf sind ein relativ hoher Chlorid-Spiegel und die Infusion Chlorid-reicher Flüssigkeit von größerer Bedeutung als eine gesteigerte Produktion von Gewebssäuren.

Diese Information bietet im klinischen Alltag den Vorteil, die weiteren therapeutischen Massnahmen gezielt einzusetzen, z.B. wäre im Falle erhöhter Gewebssäuren-Produktion die Verbesserung des Cardiac Output indiziert, hingegen wären im Falle einer Hyperchlorämie die Bevorzugung von Flüssigkeiten, die weniger Chlorid enthalten, in Erwägung zu ziehen.