Gesundheitswesen 2008; 70 - A38
DOI: 10.1055/s-2008-1076545

Dimethylsulfamid im Grund- und Trinkwasser – der Schadstoff des Jahres?

S Hauswirth 1
  • 1Gesundheitsamt Rhein-Kreis Neuss, Grevenbroich

Rückblickend betrachtet scheinen die Abstände zwischen den Meldungen über Schadstoffbelastungen des Trinkwassers immer kürzer zu werden. Anfang 2007 wurde aus Baden-Württemberg bekannt, dass ein bisher unbekanntes Abbauprodukt eines Pflanzenschutzmittels Grund- und Trinkwasser belastet.

Ausgangslage: Im Zusammenhang mit einem Forschungsvorhaben des TZW Karlsruhe zum Vorkommen und Verhalten von Nitrosaminen in der aquatischen Umwelt wurde festgestellt, dass sich in mehreren Wasserwerken durch die Ozonung das krebserregende Nitrosamin N-Nitro-sodimethylamin (NDMA) gebildet hatte. Erst intensive Ursachenforschung führte zu dem Ergebnis, dass nur Grundwässer betroffen waren, in deren Einzugsgebieten Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Tolyfluanid eingesetzt worden waren. Weitere Untersuchungen unter Beteiligung der Fa. Bayer Crop Science kamen zu der Erkenntnis, dass ein bislang unbekannter Metabolit des Tolyfluanid, das N,N-Dimethylsulfamid (DMS) den Ausgangsstoff für die NDMA-Bildung darstellte. Die Messwerte für DMS in Grund- und Trinkwasser lagen in diesen Gebieten meist über dem Grenzwert der Trinkwasserverordnung für Pflanzenschutzmittel, Biozidprodukten und deren relevante Metaboliten von 0,1µg/l.

Bewertung: Das Umweltbundesamt kam für DMS auf der Basis einer toxikologischen Bewertung zu dem Ergebnis, dass bis zu 1µ/l auch bei lebenslangem Genuss als völlig unbedenklich anzusehen ist. Wichtig ist, dass DMS nicht durch übliche Aufbereitungsverfahren, wie Filtration über Aktivkohle herausgefiltert werden kann, sodass die Überwachungsbehörden sowie die Wasserversorgungsunternehmen vor der Frage stehen, wie mit Grenzwertüberschreitungen umzugehen ist, zumal die Trinkwasserverordnung für maximal 3×3 Jahre für Zulassungen einer Abweichung vom Grenzwert zulässt. Die Kernfrage ist, ob DMS als „relevanter Metabolit“ im Sinne der Trinkwasserverordnung anzusehen ist. Würde DMS als relevant eingestuft, gilt der Grenzwert der Trinkwasserverordnung – mit allen Konsequenzen, wenn nicht, könnten die Gesundheitsämter eine Sonderfallbeurteilung auf der Basis toxikologischer Daten durchführen, die eine dauerhafte Zulassung von bis zu 1µg DMS/l erlaubt.

Vorgehen: Aufgrund der Tatsache, dass darauf hin in weiten Teilen Süddeutschlands großflächige Grundwasserbelastungen mit DMS festgestellt wurden, veranlasste das Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalens, die unteren Gesundheitsbehörden auf dieses Problem aufmerksam zu machen.

Die im Rhein-Kreis Neuss auf Veranlassung des Gesundheitsamtes durchgeführten Untersuchungen des Roh- und Trinkwassers der 10 Wasserwerke zeigen hohe Messwerte bis zu 5,8µg DMS/l in einzelnen Brunnen, die meisten Messwerte lagen zwischen 0,1 und 1µg DMS/l. Im Trinkwasser von 5 der 10 Wasserwerken wurden Grenzwertüberschreitungen von bis zu 0,58µg DMS/l festgestellt.

Das Gesundheitsamt des Rhein-Kreises Neuss hat für die betroffenen Wasserversorger Zulassungen einer Abweichung von Grenzwert erteilt, damit das Trinkwasser weiterhin an Verbraucher abgegeben werden kann.

Die oberen und obersten Gesundheitsbehörden wurden informiert und gebeten, eine Entscheidung über die Einstufung des Stoffes DMS („relevant“ oder nicht „relevant“) zu fällen.

Seit Februar 2007 besteht ein Anwendungsverbot für Tolylfluanid im Freiland. Der Produzent Bayer Crop Science hat inzwischen alle Produkte mit diesem Wirkstoff europaweit vom Markt genommen.