Diabetologie und Stoffwechsel 2008; 3 - A172
DOI: 10.1055/s-2008-1076319

Erfassung diabetesbedingter Belastungen in der klinischen Praxis

N Hermanns 1, B Kulzer 1, S Krille 2, T Haak 1
  • 1Forschungsinstitut der Diabetes Akademie Bad Mergentheim (FIDAM), Bad Mergentheim, Deutschland
  • 2Universität Bamberg, Bamberg, Deutschland

Problemstellung: Für eine positive Prognose des Diabetes ist ein effektives Selbstmanagement der Diabetestherapie durch den Patienten von besonderer Bedeutung. Diabetesbezogene Belastungen stellen eine wesentliche Therapiebarriere dar und sind daher von besonderer klinischen Relevanz. Bisher gibt es keine Untersuchung zur Prävalenz klinisch relevanter Barrieren der Diabetestherapie entsprechend der ICD Kategorie F 54. Mit dem Fragebogen „Problem Areas in Diabetes“ (PAID) steht ein reliables und valides Fragebogeninstrument zur Erfassung diabetesbezogener Belastungen zur Verfügung, für das auch eine deutsche Übersetzung vorliegt. Offen ist bisher die Frage, ob mit diesem Instrument auch bedeutsame negative „psychische Faktoren oder Verhaltensweisen bei Diabetes“ (ICD F 54) erfasst werden können.

Methodik: An dieser Studie nahmen in einem stationären Behandlungssetting 253 Diabetiker (Alter 54.3±14.0J.; 32.0% Typ-1-Diabetiker; 55.2% weiblich; HbA1c 8.6%) teil, die sowohl den PAID-Fragebogen (20 Items, 0–100), als auch den WHO-5 Fragebogen zum Wohlbefinden (5 Items, 0–25) bearbeiteten. Das Vorliegen einer F 54 Diagnose wurde von geschulten „Fachpsychologen DDG“ entsprechend den ICD 10 Kriterien festgestellt.

Ergebnis: Die Prävalenz von F 54-Diagnosen war mit 21.3% in dieser Stichprobe hoch. Sie wurde signifikant häufiger bei Frauen, als bei Männern (16.4% vs. 27.4%; p=.03), bei Typ-1-Diabetikern signifikant öfter als bei Typ-2-Diabetikern (28.6% vs. 17.8%; p<.05) gestellt. Bei Patienten mit F 54-Diagnosen wurden zudem depressive Erkrankungen (F30– F39) ebenfalls signifikant häufiger festgestellt (61% vs. 39%; p<.01). Patienten mit einer F 54-Diagnose wiesen zudem ein signifikant geringeres psychisches Wohlbefinden (WHO 5: 9.9±4.9 vs. 14.0±5.5; p<.01) und erhöhte diabetesbezogene Belastungen auf (PAID 29.4±13.9 vs. 19.8±13.4; p<.01). Die Screeningeigenschaften des PAID zur Identifizierung von Patienten mit F 54-Diagnosen wurde mittels einer Receiver Operating Curve (ROC) überprüft. Die Fläche unter der ROC betrug .70 (p<.01) und ist damit signifikant besser als eine Zufallsklassifikation. Die graphische Analyse der ROC legt einen optimalen Cut-Off Score von 25 nahe (Sensitivität: 72%; Spezifität: 56%). Der positive prädiktive Wert lag bei 30.4%, der negative prädiktive Wert betrug 88%.

Schlussfolgerung: Etwa jeder 5. Patient unserer Stichprobe wies eine F 54-Diagnose auf. Dies ist mit einem schlechteren psychischen Wohlbefinden, einer erhöhten Prävalenz von Depressionen und diabetesbezogenem Stress assoziiert. Mithilfe des PAID Fragebogens ist bei Diabetikern ein zuverlässiges Screening auf das Vorliegen von psychologischen Faktoren oder Verhaltensweisen, welche die Diabetestherapie negativ beeinflussen, möglich. Der Einsatz des PAID in der klinischen Praxis kann empfohlen werden.