Diabetologie und Stoffwechsel 2008; 3 - A16
DOI: 10.1055/s-2008-1076163

Seltene Ursache eines Diabetes mellitus im Kindesalter: Das Wolfram-Syndrom – eine Fallbeschreibung

C Boettcher 1, J Enders 1, C Leludas 1, S Wiegand 1, KP Zimmer 1, SA Wudy 1
  • 1Pädiatrische Diabetologie & Endokrinologie, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Justus Liebig Universität, Gießen, Deutschland

Das Wolfram-Syndrom (WFS) (Synonym DIDMOAD=Diabetes insipidus, Diabetes mellitus, Optic atrophy, Deafness) ist ein autosomal rezessiv vererbtes Syndrom, welches durch Assoziation eines insulinabhängigen Diabetes mellitus (D.m.) mit progressiver Optikusatrophie (OA) im Alter unter 16 Jahren gekennzeichnet ist. Weitere Merkmale sind bilaterale progressive sensorineurale Taubheit, Diabetes insipidus zentralis, Dysfunktion des autonomen Nervensystems und Zeichen der Neurodegeneration. Das mediane Alter bei Auftreten des nicht autoimmun vermittelten, insulinpflichtigen D.m. liegt bei 6 Jahren. Mit zunehmendem Alter entwickelt sich das Vollbild der Erkrankung resultierend in einer verkürzten Lebensspanne. Ursächlich liegen dem WFS Mutationen des Wolfram-Gens (WFS-1) auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 zugrunde, das für Wolframin, ein Membranprotein des endoplasmatischen Retikulums (ER) kodiert. Stressmediierte Apoptose des ER besonders suszeptibler pankreatischer ß-Zellen gilt als Ursache des D.m. bei WFS.

Wir berichten über 2 Geschwister konsanguiner Eltern persischen Ursprungs mit WFS.

Das mittlerweile 17-jährige Mädchen stellte sich mit 11 Jahren bei Glukosurie und Nüchternblutzucker 210mg/dl ohne Ketoazidose vor. Die Anamnese ergab Kopfschmerzen seit wenigen Tagen ohne Polyurie oder Polydipsie. Der initiale HbA1c-Wert lag bei 8,1%, der Nachweis von Inselzell-AK, GAD65-AK und IA2-AK verlief negativ. Unter Insulintherapie mit geringem Insulinbedarf konnte zunächst über 3 Jahre eine sehr gute Stoffwechsellage erzielt werden, im Verlauf nahmen Complianceprobleme bei depressiver Stimmungslage des Mädchens zu. Aufgrund rezidivierender Kopfschmerzen erfolgte nach 5-jähriger Diabetesdauer eine augenärztliche Untersuchung mit Diagnose einer OA mit Restvisus von 5% beidseits.

Der 3 Jahre jüngere Bruder fiel erstmals 2005 mit Kopfschmerzen, Polyurie, Polydipsie und erhöhten Spontanblutzuckerwerten ohne Ketoazidose auf. Der anfängliche HbA1c-Wert lag bei 7,9%, die Suche nach Antikörpern blieb negativ. Nach initialer Insulintherapie wurde bei hervorragender Stoffwechsellage unter minimalem Insulinbedarf nach 6 Monaten ein Auslassversuch mit alleiniger diätetischer Führung eingeleitet, der bei ansteigenden HbA1c-Werten nach weiteren 6 Monaten beendet wurde. Aufgrund nachlassender schulischer Leistungen und vermuteter Sehschwäche folgte 2007 eine augenärztliche Untersuchung, die eine OA mit Restvisus 5% beidseits ergab.

Die Kombination D.m. und OA veranlaßte zu einer molekulargenetische Untersuchung. Diese bestätigte die Verdachtdiagnose WFS (homozygote Mutation c.2642_2643delTC) bei beiden Kindern. Die Therapieführung konnte mittels eines entsprechend angepaßten Pens und einer Sehhilfe (Lupenbrille) verbessert werden. Ein Screening der Restfamilie steht noch aus. Wir schlussfolgern, dass bei pädiatrischen Patienten mit D.m. und einem für D.m. Typ I untypischen Verlauf ein WFS in die differentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden muss.