Der Klinikarzt 2008; 37(3): 121
DOI: 10.1055/s-2008-1075869
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Der chronische Bauchschmerz in der Klinik

Gerhard Pott
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Publication Date:
15 April 2008 (online)

Schmerzen sind teleologisch gesehen Warnzeichen einer Funktionsstörung und evolutionär eine Errungenschaft, die unser Überleben sichert. Jeder nimmt alltäglich akute Schmerzen in Kauf, dienen sie uns doch als Warnung, uns aus einer gefährlichen Situation zurückzuziehen. Wie eine „rote Warnlampe” verlöschen Schmerzen, wenn ihre Ursache beseitigt ist. Natürlich greift diese mechanistische Sicht zu kurz, wenn wir nur auf die akute Schmerzsituation blicken. Von chronischen Schmerzen sprechen wir, wenn die Schmerzen länger als einen Monat andauern - eine sicher unvollkommene Definition, bedenkt man die Vielgestaltigkeit der Ursache und der individuellen Verarbeitung chronischer Schmerzen. Daher spricht man auch von einem chronischen Schmerzsyndrom. Man kann dann mit chronischen Schmerzen leben, wenn man auf eine individuelle Beratung, eine adäquate Schmerztherapie und eine begleitende Gesprächsführung durch fachlich und menschlich kompetentes, ärztliches und pflegerisches Personal zurückgreifen kann.

Unter chronischen Bauchschmerzen leiden Millionen Menschen in unserem Land. Schätzungsweise sucht jeder Zweite deswegen einen Allgemeinarzt oder Internisten auf. Zumeist sind die Beschwerden funktioneller Natur, beispielsweise im Rahmen eines somatoformen Syndroms mit Reizmagen und Reizdarm - ein Thema, das Prof. Peter Layer und Dr. Viola Andresen, Hamburg, aufgreifen. Über diagnostische und somatisch-therapeutische Möglichkeiten schreiben Dr. Klaus Kannengießer und Prof. Torsten Kucharzik, Lüneburg, die das gesamte Arsenal der diagnostischen Möglichkeiten aufzeigen. Dr. Richard Hummel und Prof. Matthias Brüwer aus Münster stellen dar, welche Patienten mit chronischem Bauchschmerz den Chirurgen aufsuchen, welche Diagnostik er wünscht und welche Behandlungsmöglichkeiten er anbieten kann.

Ich ziehe sicher viel Kritik auf mich, wenn ich jetzt feststelle, dass eine schmerzfreie Existenz, ein schmerzfreies Krankenhaus oder eine schmerzfreie Praxis utopisch sind, denn landauf, landab sprießen solche Institutionen aus dem Boden. Sicher sollen wir unsere Fähigkeiten der Schmerzerkennung und -behandlung verbessern, um allen Menschen mit chronischen Schmerzsyndromen eine maßgebliche Linderung zu verschaffen. Aber eine universelle Schmerzfreiheit ist ebenso wie ein stets andauerndes Glücklichsein eine Illusion. Ärztinnen und Ärzte geraten auch auf diesem Weg zunehmend in den Schraubstock einer Gesellschaft, die einerseits alles für machbar hält, andererseits über ihre Versicherungsträger noch nicht einmal eine ausreichende Bezahlung einer schmerztherapeutischen Behandlung gewährleistet. Hier heißt es sich wieder im Alltag und damit auf dem Boden der Tatsachen zurechtzufinden. Der chronische Schmerzpatient darf aber berechtigterweise hoffen, dass wir uns um ihn bemühen.

Besonderes Augenmerk ist beispielsweise auf den Palliativkranken mit chronischem Bauchschmerz zu legen. 80 % aller Patienten in dieser Lebenssituation leiden unter gastrointestinalen Symptomen, besonders quälend sind diese bei der Tumorobstruktion des Verdauungstraktes mit chronischer Darmlähmung. Bauchschmerzen des Palliativkranken sind jedoch vielgestaltig und zudem noch schwerer zu behandeln als bei anderen Patienten, weil ein Copingeffekt naturgemäß besonders schwer zu erreichen ist. Denn das absehbare Lebensende führt leicht zu großer Hoffnungslosigkeit. Daher war es mir als Gasteditor ein besonderes Anliegen, gemeinsam mit meinen Kollegen Dr. Joseph Pongratz und Dr. Winfried Winter dem chronischen Bauchschmerz in der Palliativmedizin mit einer Beschreibung und Ursachen der verschiedenen Schmerzphänomene ein eigenes Kapitel des Heftes zu widmen.

Prof. Dr. Gerhard Pott

Nordhorn

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