Zusammenfassung:
Bereits im Normalfall spielt die Zusammensetzung des Harnes (Hyperosmolarität, hohe
Kaliumkonzentrationen; K+) im Zusammenspiel mit den Dynamiken von urothelialer Permeabilität
und mukosalem Blutfluß nebst der zentralnervösen Steuerung eine entscheidende Rolle
für die Harndrangkontrolle. Ist die urotheliale Permeabilität entlang der Blase und/oder
des Blasenhalses erhöht, dann zieht dies jeweils relative Ischämie nach sich. Dies
verhindert in erster Linie die lebensbedrohliche Rezirkulation harnpflichtiger Substanzen.
In zweiter Linie kann Harn-K+ unter diesen Voraussetzungen bis zum Detrusor vordringen
und dessen neuromuskulär nicht-hemmbare Depolarisation mit nachfolgender Kontraktion
induzieren. Daraus resultieren nicht nur Blasenschmerzen, Pollakisurie, imperativer
Harndrang, Dranginkontinenz, sondern in einem hohen Prozentsatz dysfunktionelle Miktion.
Restharnfreie Pollakisurie verkleinert die zum transurothelialen Stoffaustausch zur
Verfügung stehende Oberfläche und schützt somit ebenfalls vor Rezirkulation. Insgesamt
handelt es sich also bei den nicht-strukturell obstruktiven und nicht-neurogenen,
irritativen Blasenfunktionsstörungen mehr um ein afferentes als um ein efferentes
Problem. Diese Sichtweise relativiert die klinische Relevanz von sog. instabilen Detrusorkontraktionen
und/oder der instabilen Urethra. Relative Ischämie kann ihrerseits die Integrität
des Urothels beeinträchtigen. Die pathophysiologische Interpendenz beider Komponenten
der Blut-Urinschranke zusammen mit dysfunktioneller Miktion mündet in einen fatalen
Kreislauf, der gegebenenfalls in irreversibler, interstitieller Zystitis endet. Um
die zugrundeliegende Pathophysiologie der Reizblase aufzudecken, sind komparative
(NaCl vs. 0,2 M KCl) urodynamische Meßtechniken weitaus indikativer als konventionelle.
Entsprechend der ätiologischen Konzeption sollten zukünftige therapeutische Algorithmen
mehr die Regeneration der Blut-Urinschranke zusammen mit Beckenbodenentspannungstraining
als die Blockade von efferent-neuromuskulärer Transmission berücksichtigen. Erst die
unwiderrufliche Feststellung von Irreversibilität erlaubt den Einsatz invasiverer
therapeutischer Maßnahmen.
Abstract
Normal bladder control requires not only neuromuscular inhibition but also urine composition
(hyperosmolarity, high potassium = K+) in correspondence with the dynamics of urothelial
permeability and vesical blood flow. Primarily, in order to avoid recirculation of
renal waste an increased urothelial permeability goes along with relative vesical
ischemia. At second, this leads to direct access of urinary K+ to the detrusor with
its subsequent depolarisation. From such a depolarisation-derived urgency and instability
cannot be inhibited by any transmitter. Clinically, this results in urgency/frequency,
bladder pain, urge incontinence and in a high percentage in dysfunctional voiding.
Residual urine free frequency reduces surface, and thus, also helps to avoid recirculation.
However, non-obstructive and non-neurogenic bladder irritation appears to be more
an afferent than an efferent problem (= instability). Furthermore, relative ischemia
leads to dysintegrity of the urothelium. Therefore, the pathophysiological interdependence
of the two components of the blood-urine barrier together with dysfunctional voiding
create a vicious circle that can end in irreversible, end-stage interstitial cystitis.
Comparative (normal saline vs. 0.2 M KCl) urodynamics reliabily indicate the underlying
pathophysiology of urgency/frequency bladders. With regard to the presented concept,
future therapeutic algorithms will rather focus on reintegrity of the blood-urine
barrier as well as pelvic floor relaxation than blockade of neuromuscular transmission.
Invasive or destructive therapy only should come into consideration when irreversibility
of an impaired blood-urine barrier is reliably ascertained.
Key words:
Comparative urodynamics - Urgency/frequency syndrome