ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2008; 117(1/02): 3
DOI: 10.1055/s-2008-1061700
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Eid

Cornelia Gins
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Publication Date:
21 February 2008 (online)

„Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios, und Hygeia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde. (...) Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden. (...) Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil”.

Wie für mich wird es auch für den einen oder anderen Leser schon länger her sein, die zitierten Sätze bewusst gelesen zu haben: Es ist ein Auszug aus dem Eid des Hippokrates. Nicht von ungefähr ist es mir ein Bedürfnis an die Grundzüge unseres ärztlichen Handelns an dieser Stelle zu erinnern. Zum einen ist Jahresanfang, da ist es immer gut, die Weichen für die nächsten 365 Tage richtig zu stellen. Zum anderen sind mir gerade in den letzten Wochen Situationen in der Praxis begegnet, die mich so beschäftigt haben, dass ich ihnen ein Editorial widme.

Fall 1: Eine junge Studentin (Privatpatientin) kam etwas verstört in meine Praxis. Sie hatte von ihrem behandelnden Zahnarzt einen recht hohen Kostenplan über zahlreiche 2-flächige Keramik-Inlays erhalten. Für die Diagnose des Kollegen diente allein die Inspektion des Gebisses, kein Röntgenbild. Bei meiner Untersuchung stellte ich ein kariesfreies Gebiss mit einer eventuellen kleinen Läsion an Zahn 17 fest. Das hergestellte Röntgenbild bestätigte, auch nach Rücksprache mit einem Kollegen, meine Diagnose: Karies 17, ansonsten kariesfrei!

Fall 2: Ein langjähriger Patient von mir ist schon seit einiger Zeit auf die zahnmedizinische Versorgung in einem Pflegeheim angewiesen. Der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten ist sehr schlecht. Nun sind die Zähne trotz neuer Versorgung durch die Kollegin inzwischen frakturiert, aber er ist beschwerdefrei. Aufgrund seiner Demenzerkrankung ist die Ansprache schwierig. Die Kollegin hat nun vorgeschlagen, dem Patienten in Vollnarkose alle noch verbliebenen Zähne zu entfernen, um dann einen totalen Zahnersatz anfertigen zu können.

Ich weiß nicht, wie Sie es sehen, aber für mich grenzt Fall 1 fast an Körperverletzung, obwohl der Kollege sicher meint, im Sinne des Gelernten gehandelt zu haben. Vielleicht hat er auch nur den Prophylaxegedanken falsch verstanden. Im Fall 2 hat die Kollegin zahnmedizinisch sicher recht. Aber wo bleibt denn da die ärztliche Verantwortung? Das Risiko, dass die Vollnarkose für den Patienten zu zusätzlichen Problemen führt, ist im Verhältnis zum Nutzen doch viel zu hoch.

Ein wenig ratlos bin ich schon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der Lehrstoff an der Universität so verändert hat, dass derartiges Handeln daraus hervorgeht. Oder ist es nicht viel mehr die Gesundheitspolitik, die diese Blüten in unserem Berufsstand erschafft? Wenn die Ethik auf dem Altar des Mammon geopfert werden muss, um die Praxis überleben lassen zu können, dann läuft da mächtig was schief.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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