Klinische Neurophysiologie 1999; 30(2): 96-103
DOI: 10.1055/s-2008-1060091
Originalia

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pathophysiologische Mechanismen der Dystönien

Pathophysiological Mechanisms of DystoniasR. Benecke
  • Klinik für Neurologie und Poliklinik der Universität Rostock
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Publication Date:
18 March 2008 (online)

Summary

Dystonia is described as a motor syndrome characterised by involuntary prolonged muscle contractions causing sustained twisting movements and abnormal postures of affected body parts. The main characteristic of dystonia in surface EMC investigations are co-contraction of antagonistic muscles and overflow activities in distant muscles. Voluntary ballistic movements of affected body parts are slowed and the three burst pattern in agonist and antagonist muscles is prolonged. A number of brainstem and spinal cord reflex investigations demonstrated an abnormal decrease of inhibitory interneuronal activity. The decrease of inhibitory action may contribute to the genesis of dystonia and the disturbance of voluntary movements but cannot be the main cause of dystonia because decrease of inhibitory action can also be present in unaffected extremities of dystonic patients. Abnormalities of cortical function have been described in functional imaging and neurophysiological studies in patients with various forms of dystonia. Magnetic brain stimulation of the motor cortex revealed changes in motor cortical excitability and activity of intracortical inhibitory interneuronal activity. Again it is not clear of whether cortical changes play a dominant role in the origin of dystonia. Most probably dystonia results from a functional disturbance within the basal ganglia either induced by lesions of the basal ganglia or the thalamus including connections between them (secondary dystonias) or by genetically determined abnormalities of enzymes or membrane proteins with resulting abnormal neuronal activities in a number of neuron populations within the basal ganglia. Overuse dystonia may have a different physiological origin such as exaggerated use-dependent plastic changes within the sensorimotor cortex.

Zusammenfassung

Bei der Dystonie handelt es sich um ein motorisches Syndrom, das charakterisiert ist durch unwillkürliche länger anhaltende Muskelkontraktionen, die zu abnormen Bewegungen und Haltungen betroffener Körperabschnitte führen. Im Rahmen von elektromyographischen Analysen zeigen sich Kokontraktionen antagonistischer Muskelgruppen und eine Overflow-Aktivität in entfernten Muskeln. Willkürliche ballistische Bewegungen einer dystonen Extremität sind bradykinetisch und das „three burst pattern” in agonistischen und antagonistischen Muskeln zeigt eine Verbreiterung. Eine Reihe von Hirnstamm- und Rückenmarksreflexuntersuchungen zeigte eine abnormale Minderung von Aktivitäten inhibitorischer Interneurone. Diese Minderung der inhibitorischen Aktivität mag zur Genese der Dystonie beitragen und auch willkürliche Bewegungen stören, es ist jedoch nicht wahrscheinlich, daß diese Disinhibitionen primäre Ursache der Dystönien sind, zumal diese Abweichungen auch in nicht beeinträchtigten Körperabschnitten bei dystonen Patienten beobachtet werden können. Störungen von kortikalen Funktionen sind im Rahmen von Studien mit funktioneller Bildgebung und Analyse neurophysiologischer Parameter bei Patienten mit verschiedenen Formen der Dystonie beobachtet worden. Die transkranielle Magnetstimulation des motorischen Kortex erbrachte Veränderungen in der Erregbarkeit von kortikospinalen Neuronen und intrakortikalen inhibitorischen Interneuronen. Auch bezüglich dieser Befunde ist es nicht klar, ob sie eine bedeutende Rolle für die Pathophysiologic der Dystonie darstellen. Am wahrscheinlichsten resultiert die Dystonie aus Störungen neuronaler Funktionsketten im Bereich der Basalganglien, entweder auf dem Boden einer morphologisch faßbaren Störung der Basalganglien oder des Thalamus bzw. der Verbindungen zwischen diesen Gebieten (sekundäre Dystönien) oder auf einer genetisch determinierten Beeinträchtigung von Enzymen oder Membranproteinen, die zu einer abnormen neuronalen Aktivität in Neuronenpopulationen der Basalganglien führt. Die Übergebrauchsdystonie mag durch einen anderen pathophysiologischen Mechanismus ausgelöst sein, insbesondere ist an übersteigerte gebrauchsabhängige plastische Veränderungen innerhalb des sensomotorischen Kortex zu denken.