Vergleichende elektromyographische und kinesiologische Untersuchungen an kongenitalen und idiopathischen Skoliosen*

Zusammenfassung

Zu der Frage, ob die idiopathische Skoliose durch eine Schwäche der Rückenstreckmuskulatur oder primär durch ein Fehlwachstum der Wirbelsäule zustande kommt, wurde unter verschiedenen standardisierten Belastungen das elektromyographische Verhalten von Rückenstreckmuskulatur und des Glutaeus medius untersucht. Dabei sollte geklärt werden, ob sich Hinweise auf eine Schwäche der Rückenstrecker im Sinne einer Haltungsschwäche finden. Außerdem wurde das Verhalten der Muskulatur bei idiopathischen und bei kongenitalen Skoliosen verglichen. Hier war die Frage, ob sich die Muskulatur bei idiopathischen Skoliosen ebenso verhält wie bei den kongenitalen, bei denen sie auf die bereits vorhandene Fehlform reagiert. Verhält sich die Muskulatur bei idiopathischen Skoliosen ähnlich, so spricht das dafür, daß das Verhalten auch hier die Reaktion auf ein sich unabhängig entwickelndes Fehlwachstum darstellt.

Untersucht wurden 26 Patienten mit kongenitalen und 42 mit idiopathischen Skoliosen.

Das Elektromyogramm wurde bei maximaler isometrischer Anspannung, im Haltungstest nach Groeneveld (stemmen mit maximaler Kraft und Halten eines Gewichtes im Stehen mit vorgehaltenen Armen) und beim Gehen von Rückenstreckern und Glutaeus medius abgeleitet.

Ausgewertet wurde das Seitenverhältnis der elektrischen Aktivitäten kontralateraler Muskeln und das Aktivitätsverhältnis der gleichen Muskeln unter verschiedenen Belastungen und beim Gehen.

Das Elektromyogramm der Rückenstrecker zeigt unter statischen Belastungen auf Konvex- und Konkavseite der Wirbelsäule ein Verhalten, das dem haltungsgesunder Vergleichspersonen entspricht. Eine Muskelschwäche als Ursache der Skoliose ist damit unwahrscheinlich.

Bei idiopathischen und kongenitalen Skoliosen verhalten sich die Rückenstrecker- und Hüftmuskeln unter den verschiedenen Untersuchungsbedingungen nahezu gleich. Die Aktivitätsverhältnisse im Haltungstest entsprechen sich. Es zeigt sich bei beiden Skolioseformen unter den verschiedenen Bedingungen die gleiche Seitenverteilung der Aktivität mit einem Überwiegen der Rückenstrecker auf der Konvexseite, daß bei mäßig starker Anspannung stärker ausgeprägt ist als bei starker.

Beim Gehen ist die Beziehung zwischen Rumpfschwankungen und stabilisierender Muskelaktivität bei beiden Skolioseformen ähnlich.

Sowohl das Muskelverhalten unter statischen Belastungen, als auch die Ähnlichkeit im Verhalten idiopathischer und kongenitaler Skoliosen spricht dafür, daß die idiopathische Skoliose nicht die Folge eines Fehlverhaltens der Muskulatur ist.

Abstract

In this paper we try to find out whether the origin of the idiopathic scoliosis is a weakness of the muscles of the back or asymmetric growth of the vertebral column.

Therefore we investigated the electromyographical behaviour of these muscles and of the glutaeus medius muscles under standardized load. We looked for hints at a weakness of the muscles of the trunk causing a scoliotic posture. In addition the behaviour of the muscles between idiopathic and congenital scoliosis was compared. Concerning to the congenital scoliosis the behaviour of the muscles is a consequence of the scoliotic form of the spine and not vice versa. The problem was whether the behaviour of the idiopathic scoliosis differs from that of the congenital scoliosis.

We investigated 26 patients with congenital scoliosis and 42 patients with idiopathic scoliosis. The electromyogram was picked up during different activities: 1. during maximal isometric contraction, 2. during a test of the muscles function in posture (Groeneveld) and 3. in Walking. The investigated muscles were the bilateral back muscles and the glutaeus medius muscles.

We analysed the ratio of the bilateral electrical activity of the contralateral muscles and the ratio of activity of single muscles under different loads and during gait.

There is no remarkable difference between the electromyograms of patients with scoliosis and healthy children during investigation of the posture. Thus it is improbable that weakness of the postural muscles is the cause of scoliosis.

In idiopathic and congenital scoliosis the investigated muscles show similar behaviour under the different loads:

We find an identical behaviour under postural loads, a similar distribution of bilateral activity with a stronger activity on the convex side. This relation especially finds its expression in exercises with weak activity. In gait the relations between the movements of the trunk and the stabilizing activity of the muscles is similar in both types of scoliosis.

As the activity of the muscles under statical load, as the similarity of the activity in idiopathic and congenital scoliosis leads to the assumption that the idiopathic scoliosis is not the result of misfunction of the muscles.