Geburtshilfe Frauenheilkd 1980; 40(4): 366-372
DOI: 10.1055/s-2008-1039324
Gynäkologie

© 1980 Georg Thieme Verlag, Stuttgart · New York

Zum Mechanismus der normalen und gestörten Gonadenentwicklung

On the Mechanism of Normal and Irregular Gonadal DevelopmentU. Müller, J. W. Siebers
  • Institut für Humangenetik und Anthropologie der Universität Freiburg i. Br. und Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br.
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

Zusammenfassung

Das H-Y(„männlich-spezifische“)-Antigen, das in männlichen, nicht jedoch weiblichen Säugern exprimiert wird, induziert die Entwicklung von Testis aus der indifferenten Gonaden-Anlage. Die Testis-induzierende Funktion des H-Y-Antigens ist anhand von invitro-Reaggregations-Experimenten mit gonadalen Zellen bewiesen. In Gegenwart des H-Y-Antigens reorganisieren sich Zellen dissoziierter Ovarien von neugeborenen Ratten zu testikulären Strukturen. Die Expression des LH/HCG-Rezeptors als einem zu diesem Zeitpunkt Testis-spezifischen Parameter bedeutet, daß nicht nur eine morphologische, sondern auch funktionelle Konversion stattfindet. Umgekehrt bilden testikuläre Zellen nach „Lysostripping“ des H-Y-Antigens durch H-Y-Antikörper ovarielle Strukturen. Es hat den Anschein, daß der induktive Prozeß des H-Y-Antigens über eine hormonähnliche Wirkung abläuft. Nach der Sekretion durch männlich (XY) gonadale Zellen wird es an einen Gonaden-spezifischen Rezeptor gebunden. Die Formation des Hormon-Rezeptor-Komplexes induziert die Testis-zell-spezifischen Funktionen. - Einige Störungen bei der primären Gonaden-Differenzierung beim Menschen sind entweder auf einen Defekt des Gonaden-spezifischen Rezeptors für das H-Y-Antigen oder auf einen Defekt in der Expression des H-Y-Antigens zurückzuführen. So könnte z. B. die Ursache für die Entwicklung von XX-Männern mit einer anomalen Aktivierung des Gens erklärt werden, das für die Expression des H-Y-Antigens verantwortlich ist. Fälle der XY-reinen Gonadendysgenesie (Swyers-Syndrom), die H-Y-negativ typisieren, dürften dagegen auf eine gestörte Expression des H-Y-Antigens zurückzuführen sein. Bei H-Y-positiven Fällen von XY-reiner Gonadendysgenesie muß dagegen die Funktion des H-Y-Antigens - möglicherweise aufgrund eines Rezeptor-Defektes - gestört sein. Es kann angenommen werden, daß neben totalen auch partielle Rezeptor-Defekte vorkommen. Im letzteren Fall dürfte die Testis-induzierende Wirkung unzureichend sein, womit sich eine Erklärung für die hohe Rate maligner Gonadentumoren bei Patienten mit XY-reiner Gonadendysgenesie anbietet.

Abstract

H-Y („male-specific“) antigen, expressed in male mammals but not in females, induces the indifferent gonadal anlage to become a testis. The testis inducing function of H-Y antigen is substantiated by in vitro reaggregation experiments with gonadal cells: Cells of the dissociated ovary of newborn rats reorganize into testicular structures in the presence of H-Y antigen. Expression of the LH/HCG receptor as a testis-specific parameter indicates that morphological conversion in this case is functional as well. Conversely, testicular cells, lysostripped of H-Y antigen by H-Y antibody reorganize into ovarian structures. Evidently H-Y antigen acts in hormonelike fashion in the inductive process. After being secreted by male (XY) gonadal cells, it is bound to a gonad-specific receptor. Formation of the „hormone-receptor complex“ induces testis cell specific functions. - Some disorders of primary gonadal differentiation in man are due to defects either of the gonad-specific receptor of H-Y antigen or the expression of H-Y antigen. E. g. the origin of XX males may be explained by pathological activation of H-Y antigen determining gene. On the other hand, cases of XY pure gonadal dysgenesis (Swyer's syndrome) which type H-Y negative could be due to a disturbed expression of the testis inducer, H-Y antigen. There are also cases of “H-Y positive” XY pure gonadal dysgenesis which could be ascribed to a failure in the function of H-Y antigen, e. g. a defect in binding. A total as well as a partial defect of the gonad-specific receptor may be assumed. In the latter case, testicular induction of the gonad is ineffectual; this could explain the high incidence of malignancy in patients with XY pure gonadal dysgenesis.

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