manuelletherapie 2008; 12(4): 145-146
DOI: 10.1055/s-2008-1027775
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akademisierung/Master-Ausbildungen in Manueller Therapie

H. Luomajoki1 , A. Schämann1
  • 1Institut für Physiotherapie, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), Zürich
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Publication Date:
04 September 2008 (online)

Der Ruf nach Wissenschaftlichkeit hat nun auch definitiv die Manuelle Therapie erreicht. Die von Physiotherapeuten praktizierte spezialisierte Manuelle Therapie wird einerseits klar als ein Teil der Schulmedizin gesehen und ist andererseits ein typisches Beispiel für erfahrungsbasierte Medizin. Trotz der Koexistenz unterschiedlicher manualtherapeutischer Gruppierungen und ihren unterschiedlichen Vorgehensweisen in Bezug auf Assessment und Intervention, sind diese in großen Teilen weitestgehend akzeptiert. Der Glaube, dass Gelenks- und Bewegungssystemdysfunktionen als Verursacher von muskuloskelettalen Beschwerden gelten können, dürfte als Grundgedankengut in Manueller Therapie weitgehend verankert sein.

Inwieweit stimmt aber eigentlich dieser weitakzeptierte Glaube? So wie im gesamten medizinischen Feld geraten grundsätzliche als für wahr angenommene Effekte von Therapien ins Wanken. Als Manualtherapeuten befinden wir uns diesbezüglich in bester Gesellschaft (z. B. in der Chirurgie, Orthopädie, Chiropraktik). Sind die Tests, die wir in den Kursen gelernt haben, wirklich zuverlässig und valide? Bringt die von uns als spezifisch angenommene Therapie tatsächlich mehr als eine Standardtherapie?

Um dem Ruf nach Evidenz gerecht zu werden, bedarf es in erster Linie einer erweiterten Ausbildung. Diskussionen um die Veränderung der Ausbildungen und ihre Konsequenzen werden bereits seit einiger Zeit geführt, nehmen aber zurzeit konkretere Züge an. Im Folgenden beleuchten wir die bildungspolitische Situation in der Schweiz, wo seit 2 Jahren das komplette Ausbildungssystem der Gesundheitsberufe grundständig auf der Hochschulebene angesiedelt ist.

Das Institut für Physiotherapie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist in seiner Organisationsform einzigartig in der Schweiz, da zum Institut einerseits die Lehre im Bachelor of Science Programm (und zukünftig auch im Master of Science) und andererseits eine eigene physiotherapiespezifische Forschungsabteilung ebenso wie eine eigenen Abteilung für akademische Weiterbildung gehören.

Die zukünftige Entwicklung im Bildungswesen der Gesundheitsberufe und damit auch der Manuellen Therapie wird von 2 wesentlichen Faktoren beeinflusst. Dies sind zum einen die Forderung des Krankenversicherungsgesetzes nach Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der Therapien (und damit evidenzbasierte und/oder evidenzinformierte Praxis) und zum anderen die Harmonisierung des europäischen (akademischen) Bildungsraums durch die Bologna-Deklaration. Diese entstand vor dem Hintergrund der Idee der Vereinheitlichung des Europäischen Hochschulraums, um die berufsspezifischen Abschlüsse mittels eines einheitlich eingeführten Credit-Point-Systems für erbrachte Lernleistungen besser vergleichen zu können und Anerkennungsverfahren zu vereinfachen. Die weiteren Ziele sind die Förderung der Flexibilität und Mobilität der Dozierenden und der Studierenden. Die Umstellung auf die Bologna-Systematik benötigt die grundsätzliche Umstellung auf eine grundständige akademische Ausbildung in der Physiotherapie. Konkret bedeutet diese Umstellung, dass Manuelle Therapie als Form der akademischen Weiterbildung an Hochschulen weiterstudiert werden kann, im 1. Schritt zu einem Master, möglicherweise aber auch hin zu einem Doktorat.

Wie bereits erwähnt, ist einer der Eckpunkte der Bologna-Deklaration das European Credit Transfer System (ECTS), d. h. die Währung für die Beurteilung der Lernleistungen. 1 Credit Point entspricht einer Lernleistung von 25 – 30 Stunden. Mindestens 40 % der Lernleistung ist als Kontaktunterricht, der Rest als Selbststudium, Projektarbeiten und Gruppenaufgaben gestaltet.

Das Grundstudium zum Bachelor of Science in Physiotherapie beinhaltet in der Schweiz per Gesetzesbeschluss – wie auch für den Großteil aller Bachelor-Studiengänge beschlossen – 180 ECTS-Punkte. Nach Abschluss des Bachelor-Studiums gibt es 2 Möglichkeiten, einen Master-Abschluss zu erlangen: den berufsspezifischen konsekutiven Master of Science in Physiotherapy (MSc mit 90 – 120 ECTS-Punkten) und den Master of Advanced Studies (MAS mit 60 ECTS-Punkten), auch Weiterbildungs-Master genannt. Der Unterschied zwischen den beiden Abschlüssen ist neben der unterschiedlichen Länge die inhaltliche Ausgestaltung. Während der konsekutive MSc vor allem ein wissenschaftlich ausgerichtetes Studium für Physiotherapeuten anbietet, die sich in Forschung, Lehre und professionellem Leadership weiterentwickeln wollen, ist der MAS eher klinisch ausgerichtet. Für Therapeuten, die sich zum Fachspezialisten mit klinischer Expertise entwickeln möchten, eignen sich insbesondere diese fachspezifischen MAS. Manuelle Therapie gehört per Definition eher zum MAS-Bereich, wobei die Möglichkeit, ein MSc-Programm in Manueller Therapie abzuschließen, nicht ausgeschlossen ist.

Ein kleiner Stolperstein für die Teilnahme der meisten deutschsprachigen Physio- und Manualtherapeuten an der akademischen Weiterbildung ist das zurzeit noch nicht flächendeckend eingeführte grundständige akademische Bachelor-Studium.

Obwohl die Schweiz das gesamte System umgestellt hat und es nunmehr nur noch das grundständige Bachelor-Studium gibt, haben doch alle anderen Kollegen das altrechtliche Diplom, das den Zugang zu einem MAS in neuromuskuloskelettaler (NMSK) Physiotherapie verunmöglichen würde. Hier wird es für alle interessierten Physiotherapeuten nun ein sogenanntes Upgrade in Form des nachträglichen Titelerwerbs (NTE) im Umfang von 5 – 10 ECTS-Punkten geben. Damit erhalten sie das Äquivalent zum BSc und sind formal zur Teilnahme an den Weiterbildungen/Master-Studium der Fachhochschulen berechtigt.

Das Institut für Physiotherapie der ZHAW wird noch in diesem Jahr mit dem Kursangebot für den nachträglichen Titelerwerb beginnen (reflektierte Praxis/Wissenschaft verstehen). Das Ziel des Instituts ist es, bereits im Jahr 2009 sowohl mit einem MAS in NMSK als auch mit einem konsekutiven MSc zu starten. Der MAS wird voraussichtlich die bereits genannten 60 ECTS-Punkte beinhalten und sich berufsbegleitend über 2 – 3 Jahre erstrecken. Diese Ausbildung hat viele Gemeinsamkeiten mit der bisherigen OMT-Ausbildung, ist aber mit zusätzlichen Grundbegriffen der Wissenschaftlichkeit, der Ergänzung um wesentliche medizinische Fächer und einer Master-Arbeit versehen. Voraussetzung für die Teilnahme ist ein BSc in Physiotherapie oder ein Physiotherapiediplom plus ein NTE. Voraussichtlich wird ebenfalls eine 30-tägige Grundausbildung in Manueller Therapie verlangt, die aber als außerfachhochschulisch erworbene Lernleistung im Umfang von 10 ECTS-Punkten auf das Studium angerechnet wird (vergleichbar der bisherigen Zulassung zur OMT-Ausbildung). Hier kommen ein Maitland Level 2A Kurs oder das Äquivalent aus dem Kaltenborn-Evjenth-System (in der Schweiz: absolvierte GAMT B Reihe) oder eine andere vergleichbare Ausbildung in Manueller Therapie von gleichem Umfang zum Zug. Zudem wird angestrebt, für die bereits fertigen OMTler ein verkürztes MAS-Programm zu entwickeln.

Das Institut für Physiotherapie der ZHAW hat mit dem Schweizerischen Verband für Orthopädische Manuelle Therapie (svomp) ein Zusammenarbeitsabkommen für die Planung dieses MAS-Programms unterschrieben, und es wurde eine Arbeitsgruppe für die genauere Programmausarbeitung gebildet. Die svomp-OMT-Ausbildung wird aufgelöst und durch das MAS NMSK Physiotherapie (mit IFOMT-Anerkennung) ersetzt.

In der Bildungslandschaft wird ein neuer Wind wird wehen. Derzeit biete sich die einmalige Chance, eine maßgebende Rolle dabei zu spielen, die Richtung dieses Windes zu bestimmen. Die offensichtlichen Ziele des MAS (Akademisierung, Grundverständnis des wissenschaftlichen Arbeitens und evidenzbasierte Physiotherapie verknüpft mit starken praktischen Kompetenzen) werden in zweiter Linie wahrscheinlich auch eine positive Wirkung auf unsere Positionierung im Gesundheitsmarkt und vielleicht auch langfristig auf die Tarifbildung haben.

Schlagen wir also den Weg ein und lassen uns die Ausbildung starten!

Hannu Luomajoki, PT OMT svomp, Mphty

Leiter Weiterbildung ZHAW

Email: luom@zhaw.ch

Dr. phil. Astrid Schämann, PT

Leiterin Institut für Physiotherapie ZHAW

Email: shad@zhaw.ch