manuelletherapie 2008; 12(3): 97-98
DOI: 10.1055/s-2008-1027629
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grüße aus Rotterdam

L. Jörger
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 July 2008 (online)

Mit großem Engagement hat der niederländische Verband der Manualtherapeuten (NVMT) die Welt eingeladen, der Präsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse als Quelle zur Verbesserung von Lebensqualität beizuwohnen – und der Weg nach Rotterdam hat sich gelohnt!

Die Stadt, mit ihrem Anspruch, unter den holländischen Städten die jüngste, dynamischste und innovativste zu sein, bildete einen idealen Ausgangspunkt für die ambitionierten Ziele des IFOMT-Weltkongresses. Die Brücke über die Maas, eine architektonische Meisterleistung und Wahrzeichen von Rotterdam, wurde auch als Logo und Leitmotiv des Kongresses genutzt. Die Teilnahme von etwa 1500 Kongressbesuchern pro Tag aus mehr als 50 Ländern der Welt war wirklich wieder ein Beleg für die Funktion des Weltkongresses als Drehscheibe für die Welt der Physiotherapie/Manualtherapie auf dem Gebiet von Ausbildung, Forschung, Innovation und vor allem für Austausch und Kommunikation.

Da in der nächsten Ausgabe der manuelletherapie ausführlicher über inhaltliche Details berichtet wird, begnüge ich mich hier mit der Darstellung einiger „Delikatessen”.

Kommunikation war groß geschrieben, und neben den Kontakten bei den Vorträgen bestand überall Gelegenheit zu diskutieren und sich auszutauschen. Das Kongressgebäude bot viel Raum, um zu sitzen, zu stehen und bei Kaffee oder Wein, Sandwich oder üppigem Mittagessen (von vielen Teilnehmern als kulinarische Glanzleistung bewertet) alte oder neue Bande zu knüpfen.

Die Keynote- oder Hauptreferate hielten anerkannte und in der Regel forschend tätige Therapeuten. Die Gruppe dieser ausgewiesenen Wegweiser für wissenschafts-/evidenzbasierte Therapie wie Moseley, Hodges, Jull, Kahn, Moore, Oostendorp oder van Tulder setzte den Standard und Rahmen des wissenschaftlichen Programms.

Ein Kongress dieser Größenordnung lebt aber nicht nur vom Arrivierten. Junge Therapeuten und Forscher konnten auf dieser Plattform sich und ihre Master- oder Phd-Arbeiten präsentieren, von denen es aus der Sicht eines deutschen Therapeuten beneidenswert viele aus den verschiedenen Ländern der Welt, insbesondere aus Holland gab. Zwar hatten nicht alle Hervorragendes zu bieten, aber gerade dieser Vergleich muss möglich sein und ist Teil des steinigen Wegs zur Exzellenz.

Endlich fand sich auch wieder ein Forum für manualtherapeutische Lehrer. Der glücklichen Verbindung zur Vorsitzenden des Standards Committee des IFOMT, Dr. Alison Rushton aus Birmingham, verdanken wir sehr viele belebende Impulse beim Austausch der OMT-Lehrer. Querelen der Vergangenheit auf der Basis, Exzellenz immer nur für das eigene Tun zu beanspruchen, laufen in einer Atmosphäre der Kommunikation und des Wissensaustauschs ins Leere. Wir dürfen gespannt sein, wie dieses gegenseitige Monitoring oder Begleiten von Lehr- und Arbeitsabläufen die OMT-Lehrqualität weiter stimuliert. Erklärtes Ziel aller Mitgliedsorganisationen ist nämlich die weltweit gegenseitige Anerkennung der OMT-Ausbildung!

Der Trend zur Akademisierung bei gleichzeitiger Erhaltung der hohen praktischen Qualität im Handanlegen setzt sich zunehmend fort. Gelder und sinnvolle Strukturen, aber auch ein wissenschaftliches Umfeld mit einem Mindestbestand an Forschern sind für diese rasante Entwicklung in einigen Ländern förderlich. Auch andere Länder kennen hierarchische Strukturen, die bisher die Entwicklung und Forschungsarbeit in vielen Fakultäten, insbesondere auf dem Gebiet der Physiotherapie im eigenen Land hemmen und unterdrücken. Trotzdem leisten einige von ihnen seit Jahren hervorragende Arbeit.

Ein besonderes Highlight stellte ganz eindeutig die Podiumsdiskussion über das Screening vor dem Einsatz von Manipulationstechniken an der HWS dar. Unter dem Vorsitz von Duncan Reid (Neuseeland) wurde die erstmals beim WCPT-Weltkongress in Vancouver im Juni 2007 aufgenommene Thematik fortgesetzt. Professor Darren Rivett (Australien) präsentierte die Ergebnisse einer Befragung über Nutzen und Einsatz der Orientierungshilfe des Screenings vor HWS-Manipulationen. Die Befragung fand zwischen den Kongressen unter den 20 IFOMT-Mitgliedsorganisationen statt. Weitere führende Referenten auf dem Gebiet der HWS-Behandlung und ihrer möglichen Komplikationen ergänzten das Podium: Lisa Carlesso aus Kanada, Roger Kerry aus England, Sidney Rubinstein aus den Niederlanden, Wayne Hing aus Neuseeland und Tim Flynn aus den USA. Alle waren sich einig, dass Spontandissektionen zumindest ein minimales Risiko bleiben. Daher ist eine verantwortungsvolle, nach besten und neuesten Erkenntnissen durchgeführte Voruntersuchung unbedingt erforderlich, um die wunderbare Technik der Manipulation hilfreich und sicher als therapeutisches Mittel zu nutzen. Somit lassen sich ungünstige Faktoren von Anfang an ausschließen und die betroffenen Patienten anderen Therapien zuführen.

Die Präsentationen und anschließenden Beiträge in der Podiumsdiskussion boten die Grundlage für eine weitere 2-stündige geschlossene Experten- und Delegiertensitzung der Mitgliedsorganisationen. Am Ende des Kongresses – wahrlich in den letzten Minuten – wurde noch an einem Konsensuspapier für die HWS-Untersuchung gearbeitet. Unter dem bewährten Vorsitz von Dr. Rushton wurden in gegenseitigem Einvernehmen die Strukturierung und möglichen Inhalte dieses Dokuments zusammengetragen. Wir dürfen auf die weitere Bearbeitung in den nächsten Monaten gespannt sein, da es die Guidelines von unter anderem Australien, England sowie Kanada ergänzen und eventuell als Konsensuspapier alle IFOMT-Mitgliedsorganisationen präsentieren sowie über deren Homepages verbreitet werden soll.

Abb. 1 Die neu gewählte Präsidentin der IFOMT Annalie Henning (Südafrika; links) sowie die ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder Lothar Jörger (Deutschland; Mitte) und Marina Wallin (Schweden; rechts).

Weitere Kongresssplitter:

Präsentation des neue IFOMT-Logos. Die Wahl für den nächsten IFOMT-Weltkongress fiel auf Quebec. Gratulation an Kanada! Für seine Verdienste um die IFOMT wurde Freddy Kaltenborn mit der lebenslangen Mitgliedschaft geehrt. Ebenfalls Gratulation an Freddy! Mit Freude registrierten die holländischen Kollegen, dass mehr als 60 Teilnehmer aus Deutschland am Kongress teilnahmen.

Bleibt zu wünschen, dass der Geist der Weiterentwicklung auch künftig lebhaft genutzt wird. In Deutschland erwartete der 4. physiokongress in Fellbach bei Stuttgart (12.–14.6.2008) viele Wissensbegierige, und vom 22.–23.11.2008 findet der Jubiläumskongress zum 30-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Manuelle Therapie des ZVK Wie viel Therapie benötigt der Mensch? statt. Diese beiden Highlights demonstrieren, dass auch wir die Herausforderung zur Steigerung unserer Kompetenz in einem im Wandel begriffenen Gesundheitsumfeld annehmen!

Hartelijk bedankt, voor jullie gastvrijheit.

Lothar Jörger

Ehemaliges Mitglied des IFOMT-Executive

Egerlandstr. 23

97720 Nüdlingen

Email: lothar@physiotherapie-joerger.de

    >