Zusammenfassung
Zielsetzung: Die Häufigkeit von Patientenübergriffen und freiheitsbeschränkenden Zwangsmaßnahmen
wird als ein wichtiger Qualitätsindikator bei stationären psychiatrischen Behandlungen
angesehen. In einem Benchmarking unter Beteiligung von 12 Kliniken wurden 2004 in
Deutschland 36 690 Behandlungsepisoden hinsichtlich des Vorkommens von Zwangsmaßnahmen
ausgewertet. In der eigenen Klinik war dabei der Anteil der betroffenen Patienten
in der Diagnosegruppe ICD-10 F 6 (Persönlichkeitsstörungen) überdurchschnittlich hoch.
Als Maßnahme zur Qualitätsverbesserung wurde deshalb eine spezielle Kriseninterventionsstation
für diese Patientengruppe eingerichtet. Methoden: Auswertung der elektronischen Krankenakten aller Patienten mit der Diagnose F 6 in
der Klinik in Bezug auf Zwangsmaßnahmen und aggressives Verhalten 1 Jahr vor und 1
Jahr nach der Implementation der Station. Ergebnisse: Die Gesamtzahl von Zwangsmaßnahmen konnte im Vergleich zum Jahr vor der organisatorischen
Umgestaltung von 120 auf 17 reduziert werden. Der Anteil der Fälle, bei denen es zu
aggressiven Patientenübergriffen kam, reduzierte sich von 7,0 auf 3,8 %, der Anteil
von Fällen mit gerichtlicher Unterbringung reduzierte sich von 11,0 auf 3,8 %. Schlussfolgerung: Zum ersten Mal wird damit eine organisatorische Maßnahme beschrieben, die speziell
für diese Patientengruppe den Zyklus von Zwang und Gewalt erfolgreich vermindern kann
und damit zu einer nachweisbaren Qualitätsverbesserung führt. Dies gelang ohne eine
Steigerung interner oder externer Kosten und ist ein in die Routineversorgung übertragbares
Modell.
Abstract
Aim: The frequency of violent acts and coercive measures is looked upon as an important
indicator of quality for in-patient treatment. In a benchmarking among 12 German psychiatric
hospitals in 2004 36.690 treatment episodes were examined regarding the occurrence
of coercive interventions. In the own hospital the proportion of patients with personality
disorders (ICD-10 F 6) affected by such measures was higher than average. As an intervention
to improve quality a special crisis intervention ward for this group of patients was
established. Method: Evaluation of electronic charts regarding coercive interventions, aggressive behaviour,
and involuntary commitment of all patients with diagnosis F 6 treated in the hospital
one year before and one year after implementation of the crisis intervention ward.
Results: The total number of coercive interventions decreased from 120 to 17 in the year after
the intervention. The percentage of cases with violent behaviour decreased from 7.0
to 3.8 %, the percentage of involuntary commitments from 11.0 to 3.8 %. Conclusion: This is the first time to describe an effective intervention to reduce violence and
coercion for this group of psychiatric in-patients. Thus an important amelioration
of treatment quality could be achieved without an increase of internal or external
cost. The model can be recommended for routine clinical care.
Schlüsselwörter
Benchmarking - Zwangsmaßnahmen - Persönlichkeitsstörung - Aggression - Unterbringung
Key words
seclusion - restraint - involuntary commitment - quality - personality disorder
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Zur Publikation eingereicht;
1 Das dieser Arbeit zugrunde liegende Projekt erhielt 2007 den 2. Preis des Golden
Helix Award für Qualitätsmanagement.
2 Aus sprachlichen Gründen wird hier ausschließlich die maskuline Form verwendet. Gemeint
sind stets Patientinnen und Patienten, wobei die Patientinnen sogar deutlich in der
Überzahl sind.
Prof. Dr. med. Tilman Steinert
Abteilung Psychiatrie I der Universität Ulm, Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau
Postfach 2044
88190 Ravensburg
eMail: tilman.steinert@zfp-weissenau.de