Z Sex Forsch 2008; 21(1): 1-25
DOI: 10.1055/s-2008-1004706
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wenn Verhütung scheitert - Qualitative und quantitative Analysen zu Verhütungspannen bei Jugendlichen

Ergebnisse eines Pro Familia ForschungsprojektsS. Matthiesen
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

Übersicht:

Wenn Jugendliche schwanger werden, so ist dies in der Regel ein Ergebnis gescheiterter Verhütung. Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht die Frage, wie es zu diesem Scheitern kommt. Die Autorin wertet hierzu erstens die quantitative Befragung von minderjährigen schwangeren Frauen aus (n = 2278); zweitens analysiert sie qualitative Interviews mit minderjährigen Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben (n = 62). Die quantitativen Daten zeigen: Etwa zwei Drittel der ungewollten Jugendschwangerschaften sind die Folge von Anwendungsfehlern bei Pille und Kondom. Es werden drei vulnerable Gruppen identifiziert: soziale Benachteiligung, nicht-egalitäre Geschlechterverhältnisse und emotionale Distanz der Sexualpartner erhöhen das Schwangerschaftsrisiko junger Frauen. Anhand der Interviews analysiert die Autorin im Detail den sexualbiografischen Kontext von Verhütungspannen und beschreibt vertiefend die Schwierigkeiten bei der konsistenten Verwendung von Pille und Kondom. Sie analysiert Verhütung als partnerschaftlichen Lernprozess, der weniger aufgrund von Aufklärungsdefiziten, als vielmehr an fehlender Interaktionskompetenz der Sexualpartner und mangelndem Wissen über Anwendungsfehler scheitert.

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1 92 % aller schwangeren Minderjährigen werden ungewollt und ungeplant schwanger (vgl. Schmidt u. a. 2006).

2 Die Stichprobe der Beratungsstellen des Diakonischen Werks umfasst weitere 97 Frauen, die nach einer längeren Beratung (mindestens zwei Gespräche) befragt wurden. Aus Gründen der Vergleichbarkeit berücksichtigen wir diese hier nicht.

3 Die Interviews führten die sozialwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Forschungsgruppe Hamburg: Karin Block, Svenja Mix und Silja Matthiesen.

4 Diese Zahlen decken sich mit den Ergebnissen einer britischen Studie, die für erwachsene Frauen, die ungewollt schwanger wurden, fanden, dass 68 % verhütet haben, als sie schwanger geworden sind (vgl. Griffiths 1990).

5 Die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Verhütungsfehler beim Koitus, bei dem es zur Konzeption kam in den Interviews entspricht den Ergebnissen der quanitiativen Daten. Die Zahlenangaben der Interviewstudie erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität, sie sollen nur deutlich machen, von wie vielen Mädchen jeweils die Rede ist.

6 Alle Namen wurden geändert.

7 Die Befragte war zum Zeitpunkt des Interviews 18 Jahre alt, bei der Konzeption jedoch erst 17 Jahre.

8 Es gibt hormonelle (Pille u. ä., Verhütungsring, Verhütungsstäbchen, Pflaster, 3-Monatsspritze, Hormonspirale), mechanische (Spirale, Diaphragma, Portiokappe, Kondom), chemische (diverse Zäpfchen und Gels, alle unsicher) und „natürliche” (Temperaturmessung sowie Zervixschleimbeobachtung) Verhütung. Davon kommen für Jugendliche jedoch nur wenige in Frage. Chemische und „natürliche” Verhütungsmittel sind zu unsicher, die Spirale wird für junge Frauen sehr selten empfohlen (nur nach Schwangerschaft oder Geburt), Diaphragma und Portiokappe werden auch äußerst selten verwendet. Relativ neu auf dem Markt ist der Verhütungsring (Nuova-Ring), der jedoch aufgrund relativ hoher Kosten meistens erst empfohlen wird, wenn sich herausgestellt hat, dass eine Frau mit der regelmäßigen Einnahme oraler Kontrazeptive Schwierigkeiten hat.

9 Die Studie von Randolph et al. (2007) bestätigt einen Zusammenhang zwischen Kondomnutzung und sexuellem Genuss im hier beschriebenen Sinne: „(…) many people believe that condoms reduce sexual pleasure und that man, in particular, who believe that condoms decrease pleasure are less likely to use them” (Randolph et al. 2007: 844).

Dr. S. Matthiesen

Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf

Martinistr. 52

20246 Hamburg

Email: smatthie@uke.uni-hamburg.de

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