Radiologie up2date 2008; 8(1): 5
DOI: 10.1055/s-2007-995473
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zurück zum Röntgenbild?!

Klaus  Wörtler
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. März 2008 (online)

Kürzlich berichtete ein in der ärztlichen Fortbildung sehr engagierter britischer Radiologe über die Planung einer Refresherkurs-Reihe zum Thema „Analyse konventioneller Röntgenaufnahmen” für das Jahrestreffen des Royal College of Radiologists. Nachdem die Kongressveranstalter der potenziellen Akzeptanz dieser Veranstaltung zunächst sehr skeptisch gegenüberstanden, wurde man schließlich von einer Welle von über 600 Anmeldungen überrollt. Aus Kapazitätsgründen musste die Kursreihe 3-mal wiederholt werden. Ob eine rein konventionell-radiologisch ausgerichtete Fortbildungsveranstaltung auch in Deutschland auf eine derartige Resonanz stoßen würde, erscheint zweifelhaft. Bisher sind die „Straßenfeger” in unseren Kongressprogrammen ganz eindeutig die MRT-Kurse, besonders wenn es um die Gelenk- oder Neurodiagnostik geht. Die vermeintlich „banale” Diagnostik am Röntgenbild ist hier unterrepräsentiert.

Diese unterschiedliche Gewichtung kann wohl nicht nur der im Vergleich zu den britischen Inseln deutlich höheren Großgerätedichte in unserem Land zugeschrieben werden, da unabhängig von der Verfügbarkeit „alternativer” Verfahren das Röntgenbild besonders in der muskuloskelettalen Diagnostik medizinisch indiziert und unverzichtbar bleibt. An spezialisierten Zentren beschäftigte, konsiliarisch oder gutachterlich tätige Radiologen teilen die Erfahrung, dass die Anfertigung einer zweifelsfrei indizierten Röntgenaufnahme vielfach erst am Ende der diagnostischen Kaskade, z. T. nach wiederholten MRT-Untersuchungen, steht bzw. dass der Schlüssel zur Lösung unklarer Fälle oft eine ältere Röntgenaufnahme ist, die bisher wenig oder nicht beachtet in einer umfangreichen Röntgentüte bzw. CD-Sammlung verborgen liegt. Stilblüten dieser Entwicklung sind, wie kürzlich beobachtet, die Durchführung einer PET-CT als primäres Untersuchungsverfahren bei einer Koxarthrose, die Publikation von PET-Befunden beim nicht ossifizierenden Knochenfibrom in einem namhaften radiologischen Journal oder die Beschreibung von „Osteolysen” und „Sklerosierungen” in MRT-Befunden.

Die Ursachen der Problematik sind vielfältig. Sicher spielen die Verteufelung der Strahlendiagnostik in den Medien, der Wunsch vieler Patienten nach „Hightech-Medizin”, übertriebene, da in der Konsequenz diagnostisch nicht mehr zielführende Strahlenschutzbemühungen und die Vergütung radiologischer Leistungen eine Rolle. Letztlich handelt es sich aber auch um ein Ausbildungsproblem, denn wir müssen dem radiologischen Nachwuchs neben dem heute häufig beschworenen „Service”-Gedanken und der Verpflichtung zum Strahlenschutz vor allem die Verpflichtung zum sinnvollen Einsatz unserer bildgebenden Verfahren vermitteln. Und d. h., wir müssen auch medizinisch kompetent vermitteln, in welchen Situationen einfach „Zeit für eine Röntgenaufnahme” ist. Berichten über den Ablauf radiologischer Facharztprüfungen ist leider zu entnehmen, dass den Prüflingen mitunter lediglich Schnittbildaufnahmen vorgelegt wurden und auf die Kenntnis typischer Befunde im Röntgenbild sowie die prinzipielle Indikationsstellung wenig Wert gelegt wurde.

Bleibt der künftig wieder mehr von primär medizinischen Überlegungen geleitete Einsatz bildgebender Verfahren also eine Illusion? Besonders in der muskuloskelettalen Diagnostik wird das Engramm des radiographischen Befundmusters seinen hohen Stellenwert behalten. Ob es in fernerer Zukunft noch mit Hilfe von Röntgenstrahlen erzeugt werden muss, bleibt abzuwarten.

Klaus Wörtler

    >