Aktuelle Ernährungsmedizin 2007; 32 - V43
DOI: 10.1055/s-2007-992221

Psychosoziale Belastung, Stresscoping und Adipositas im Kindes- und Jugendalter zum Einfluss elektronischer Medien

R Thalemann 1, T Drossel 1, A Dannemann 1, A Grüters 1, S Wiegand 1
  • 1Charité Universitätsmedizin Berlin, Sozialpädiatrisches Zentrum Interdisziplinär, Berlin, Deutschland

Zielsetzung: Bislang wurden Fernsehen und Computerspielen überwiegend hinsichtlich ihres Einflusses auf die Energiebilanz bei Adipositas untersucht. Neuere Studien zeigen, dass im Kindes- und Jugendalter der exzessive Medienkonsum auch zur Regulation unerwünschter Gefühlszustände eingesetzt wird. Häufig sind Kinder und Jugendliche mit Adipositas verstärkt psychosozialen Belastungen ausgesetzt. In vorliegender Studie wurde der Zusammenhang von problematischem Medienkonsumverhalten und Stress bei einer Stichprobe von Jugendlichen mit Adipositas untersucht. Materialien und Methoden: Über einen eigens entwickelten Fragebogen wurde das Fernseh- und Computerspielverhalten von 40 Patienten (Durchschnittsalter: 13,8 ± 1,6 J., Geschlechtsverteilung: 54% männlich) bei Erstvorstellung erhoben. Ergänzend wurde die Elterneinschätzung zum kindlichen und eigenen Mediennutzungsverhalten mit einem Elternfragebogen erfasst. Ergebnisse: Innerhalb der Stichprobe konnte über validierte Diagnosekriterien eine Gruppe von Jugendlichen mit problematischem Mediennutzungsverhalten (pM) identifiziert werden (18 Patienten [27.4%], 12 männlich, 6 weiblich). Diese Gruppe fühlt sich im Vergleich zur Gruppe ohne problematisches Mediennutzungsverhalten (opM) unmittelbar vor dem Fernsehen signifikant stärker gestresst (p < 0.05), jedoch nicht mehr danach (p > 0.05). Die Gruppe pM ist weiterhin vor und nach dem Fernsehen signifikant stärker gelangweilt (p < 0.05) als opM. Die Elterneinschätzung weist auf einen Trend zur Bevorzugung passiver Stressvermeidung bei Jugendlichen mit einem problematischen Fernsehverhalten hin (p = 0.068). Zusammenfassung: Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass Jugendliche mit Adipositas zum Teil vermeidende Stressbewältigungsstrategien bevorzugen und durch ein gesteigertes Mediennutzungsverhalten einen dysfunktionalen Umgang mit psychosozialen Belastungen und internalen Stressoren wie Langeweile pflegen. Es empfiehlt sich, die Funktion des Mediennutzungsverhaltens als mögliche Stressbewältigungsstrategie im Rahmen der Adipositastherapie im Kindes- und Jugendalter intensiver zu berücksichtigen.