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DOI: 10.1055/s-2007-988758
SIMBO – ein Screening-Instrument zur Identifizierung besonderer beruflicher Problemlagen in der medizinischen Rehabilitation
Frage: Eine berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation der Gesetzlichen Rentenversicherung ist bei Patienten mit einer besonderen beruflichen Problemlage (BBPL) der herkömmlichen reha-medizinischen Behandlung überlegen (Schonstein et al. 2003; Streibelt 2007). Bei der Entwicklung eines Screenings zur Erkennung solchermaßen bedürftiger Patienten sind zugleich Erkenntnisse bezüglich der Prognose zukünftiger Erwerbsfähigkeit (Bürger et al. 2001; Mau et al. 2002; Kuijer et al. 2006) und bisherige reha-klinische Ansätze bei der Auswahl der Patienten zu berücksichtigen. SIMBO (Screening-Instrument zur Erkennung des Bedarfs an Medizinisch Beruflich Orientierter Rehabilitation) vereint sieben Indikatoren einer BBPL in sich, die durch eine gewichtete Summe zu einer Skala aufsummiert werden (Range 0–100). Die Indikatoren beziehen sich auf die gesundheitsbezogene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit (2 Indikatoren), die sozialmedizinische Problematik (2 Indikatoren), die subjektive Prognose der beruflichen Re-Integration, die Reha-Motivation und das Alter (je 1 Indikator, Streibelt et al. 2007).
Es steht die Analyse der Konstruktvalidität, die prognostische Relevanz und die Beziehung zu anderen Konzepten des biopsychosozialen Gesundheitsmodells im Zentrum des Vortrags.
Methode: Die Daten entstammen zum momentanen Zeitpunkt zwei verschiedenen Datenquellen: zum Einen einer Kohortenstichprobe von Patienten der Deutschen Rentenversicherung mit Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSK), die im Rahmen einer stationären Rehabilitation im Heilverfahren in verschiedenen Reha-Kliniken behandelt wurden (N=2545) und zum Anderen zwei eben solchen Stichproben aus der Klinik Niedersachsen in Bad Nenndorf aus den Jahren 2002/2003 (N=494) und 2005/2006 (N=314).
Die Konstruktvalidität wird anhand des Zusammenhangs von SIMBO zu klinischen Bedarfsfeststellungen einer BBPL und der Teilnahme an einer beruflichen Orientierung in der Rehabilitation überprüft. Weiteres Analysekriterium ist das Ergebnis des EFL-Tests (Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit), einer Intensivdiagnostik zur beruflichen Leistungsfähigkeit. Über die Vorhersage der beruflichen Teilhabe ein halbes Jahr nach der Maßnahme erfolgt die Analyse der prognostischen Relevanz von SIMBO. Die weiteren Gesundheitskonzepte beziehen sich auf subjektive Angaben zu Leistungsfähigkeit, Funktionskapazität und Beeinträchtigung (PACT, FFbH, PDI), Schmerzen (NRS), schmerzbezogenen Kognitionen und Verhalten (FESV, FABQ) sowie Emotionen (HADS).
Ergebnis: Die klinischen Bedarfsfeststellungen einer BBPL werden zu 78,2% (79,5%, 77,5%) durch SIMBO bei Verwendung eines Cut-offs von 30 Punkten korrekt reklassifiziert. Die Teilnahme am EFL-Test kann durch die SIMBO-Einschätzung zu 76,9% (82,1%, 74,8%) korrekt wiedergegeben werden. Dies entspricht mittleren Zusammenhängen von φ=0,54 bzw. φ=0,52. Der multiple Validitätskoeffizient, welcher die Beziehung der beiden Außenkriterien zueinander berücksichtigt, liegt bei r=0,58.
Zur Empfehlung auf Basis der EFL-Testwerte, ob der Patient wieder an seinen angestammten Arbeitsplatz zurückkehren kann, wird ebenfalls ein hoher Zusammenhang mit der SIMBO-Einschätzung ausgewiesen (Eta=0,56). Mit der tatsächlichen beruflichen Re-Integration sechs Monate nach Ende der Maßnahme besitzt die SIMBO-Einschätzung auch unter Kontrolle des Erwerbsstatus und des körperlichen Zustandes vor der Maßnahme eine signifikante Beziehung. Die Wahrscheinlichkeit später erfolgreich beruflich teilzuhaben (Erwerbstätigkeit bei geringen Fehlzeiten) sinkt bei Vorliegen einer BBPL nach SIMBO (cut-off: 30 Punkte) um 85% (OR=0,15). Damit werden 81% der später erwerbstätigen Patienten durch SIMBO korrekt vorhergesagt (Spezifität: 70%). Die SIMBO-Einschätzung besitzt zu Leistungsfähigkeit, Funktionsfähigkeit, Beeinträchtigung und Schmerzen jeweils mittlere bis hohe Zusammenhänge (PACT: r=0,36; FFbH: r=0,45; NRS: r=0,36; PDI: r=0,51). Zu schmerzbezogenen kognitiven Einstellungen (FESV Kompetenzerleben: r=0,16) und zum Schmerzverhalten (FESV gegensteuernde Aktivitäten: r=0,30) werden kleine bis mittlere Zusammenhänge nachgewiesen. Bewegungsangst (FABQ) zeigt mit r=0,28 einen kleinen Zusammenhang, berufliche Belastung als Ursache des Schmerzes (FABQ) mit r=0,39 einen mittleren. Depressivität korrespondiert mit SIMBO ebenfalls auf mittlerem Niveau (HADS: r=0,34). Mit der durch den FABQ erhobenen Prognose der Rückkehr zur Arbeit schließlich besitzt SIMBO mit r=0,72 einen sehr hohen Zusammenhang.
Diskussion: Sowohl die Konstruktvalidität wie auch die prognostische Güte von SIMBO können als sehr hoch bewertet werden. SIMBO kann demnach, basierend auf den vorgestellten Ergebnissen, als valides Instrument zur Einteilung von Patienten mit MSK-Erkrankung hinsichtlich eines vermuteten Bedarfs an berufsbezogenen Maßnahmen angesehen werden. Insbesondere die mittleren bis hohen Zusammenhänge mit Instrumenten der körperlichen Gesundheit und mit relevanten Parametern einer drohenden oder bereits eingetretenen Chronifizierung der Krankheit unterstreichen diesen Befund. Schlussfolgerungen und Begrenzungen der Ergebnisse werden diskutiert.
Literatur: Bürger, W., Dietsche, S., Morfeld, M., Koch, U. (2001). Multiperspektivische Einschätzungen zur Wahrscheinlichkeit der Wiedereingliederung von Patienten ins Erwerbsleben nach orthopädischer Rehabilitation – Ergebnisse und prognostische Relevanz. Rehabilitation 40: 217–25.
Kuijer, W., Groothoff, J., Brouwer, S., Geertzen, J., Dijkstra, P. (2006). Prediction of Sickness Absence in Patients with Chronic Low Back Pain: A Systematic Review. Journal of Occupational Rehabilitation 16(3): 430–58.
Mau, M., Merkesdal, S., Busche, T., Bauer, J. (2002). Prognose der sozialmedizinischen Entwicklung ein Jahr nach teilstationarer oder stationarer Rehabilitation wegen Dorsopathie. Rehabilitation (Stuttg) 41(2–3): 160–6.
Schonstein, E., Kenny, D. T., Keating, J., Koes, B. W. (2003). Work conditioning, work hardening and functional restoration for workers with back and neck pain. Cochrane Database Syst Rev (1): CD001822.
Streibelt, M. (2007). Aktivität und Teilhabe. Ein Beitrag zur Wirksamkeit berufsbezogener Maßnahmen in der medizinischen Rehabilitation der Rentenversicherung. Lengerich u.a., Pabst Verlag.
Streibelt, M., Gerwinn, H., Hansmeier, T., Thren, K., Müller-Fahrnow, W. (2007). SIMBO: Ein Screening-Instrument zur Feststellung des Bedarfs an berufsbezogenen medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen. Die Rehabilitation. Artikel angenommen.