Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P801
DOI: 10.1055/s-2007-988070

Size-Weight-Illusion bei Patienten mit degenerativen Kleinhirnerkrankungen

K Rabe 1, B Brandauer 1, Y Li 1, D Timmann-Braun 1, J Hermsdörfer 1
  • 1Essen, München

Fragestellung: Sieht man zwei Objekte mit gleichem Gewicht, aber unterschiedlichem Volumen, so wird dass größere zunächst für schwerer gehalten, beim Anheben jedoch das kleinere konstant als schwerer empfunden (perzeptive Size-Weight-Illusion, SWI). Dagegen passen sich die Griffkräfte an das tatsächliche Gewicht an, d.h. während initial die Griffkraft für das größere Objekt höher ist als für das kleinere, sind die Kräfte nach wenigen Durchgängen für beide Objekte gleich. In der vorliegenden Untersuchung wurde die SWI bei Patienten mit degenerativen Kleinhirnerkrankungen untersucht.

Methode: 20 Patienten mit einer isolierten Kleinhirndegeneration und alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen wurden untersucht. Entsprechend eines SWI-Paradigmas führte jeder Proband insgesamt 40 Hebeversuche mit zwei verschieden großen, aber gleich schweren Objekten durch. Die Probanden gaben vor, während und nach dem Versuch an, welches Objekt sie für schwerer halten und markierten das Gewicht auf einer Analogskala. Die Griff- und Hebekräfte wurden über ein speziell entwickeltes Testobjekt gemessen.

Ergebnisse: Ebenso wie die Kontrollen zeigten alle Patienten eine perzeptive SWI, d.h., sie hielten das kleinere Objekt für das schwerere. Die Antizipation der Objektschwere durch die Griffkraft, erkennbar an der unterschiedlichen Griff- und Hebekraft beim ersten Heben des großen und kleinen Objekts, wurde in ähnlicher Weise bei den Patienten und Kontrollen beobachtet. Die Patienten brauchten im Durchschnitt mehr Durchgänge, um die Griffkräfte an das physikalische Objektgewicht anzupassen.

Schlussfolgerung: Die erhaltene perzeptive SWI bei zerebellären Patienten unterstützt die Hypothese, dass hier der ventrale Pfad von Bedeutung ist, zu dem das Kleinhirn keine efferenten Verbindungen hat. Die überwiegend erhaltende Antizipation der Griffkräfte in der zerebellären Gruppe war unerwartet, da postuliert wird, dass im Kleinhirn (allein oder auch im dorsalen Pfad) interne Modelle der Objekteigenschaften repräsentiert sind. Die verzögerte Anpassung der Griffkräfte an die physikalischen Objekteigenschaften spricht dafür, dass das Kleinhirn sensomotorische Gedächtnisprozesse unterstützt, für die u.a. angenommen wird, das der motorische Cortex eine wichtige Rolle spielt. Die Ergebnisse sind durch weiterführende Untersuchung zu überprüfen.

Gefördert durch DFG TI 239/8–1 und HE 3592/4–1