Fragestellung: Zunehmend werden bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) auch kognitive und affektive
Beeinträchtigungen beschrieben [1,2]. Wenig ist jedoch noch über mögliche Störungen
der affektiven Wahrnehmung bekannt. Wir führten funktionelle Kernspintomographie (fMRT)
während der Betrachtung emotionaler Gesichter an Patienten mit MS durch, die hinsichtlich
der Beurteilung von emotionalen Gesichtern in Voruntersuchungen auffällig waren. Aktivierungen
in Emotionsverarbeitungsarealen dieser Patienten wurden mit denen von Gesunden verglichen.
Methoden: 61 Patienten mit MS wurden mit der Tübinger Affekt Batterie (TAB) hinsichtlich ihrer
Affektwahrnehmung getestet. Daraus rekrutierten wir 12 Patienten (6 schubförmig, 5
sekundär progredient, 1 primär progredient; Mittelwert 43 Jahre; Multiple Sclerosis
Functional Composite (MSFC) Median 0,45 (-1,3–0,86), Beck Depression Inventory (BDI)
Median 15 (0–33)), die sich am stärksten von der gematchten Normgruppe (n=12, Mittelwert
45,5 Jahre) unterschieden. Die TAB- Untertests, die sich zwischen den Gruppen am stärksten
unterschieden (Affektdiskrimination und Affektzuordnung), wurden in der fMRT-Untersuchung
(1,5T, 33 Schichten, TR: 3s; Bildmaterial: Karolinska Directed Emotional Faces, KDEF;
[3]) präsentiert.
Ergebnisse: Die Patientengruppe zeigte im Vergleich zur Normalgruppe bei der Verarbeitung emotionaler
Gesichtsausdrücke negativer Valenz (Trauer, Furcht, Wut) eine signifikant niedrigere
Aktivierung im Bereich des ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC; BA 47, p(FWE
corr)<0,05, T=7,98).
Schlussfolgerung: MS-Patienten, die Probleme in der Beurteilung emotionaler Gesichter aufwiesen, zeigten
reduzierte VLPFC-Aktivität. Der VLPFC ist bei der Verarbeitung emotionaler Gesichter
wesentlich involviert [4]. Diese Region könnte – zusammen mit anderen Hinweisen auf
eine Valenzkodierung emotionaler Gesichter in BA 47 [5] – ein funktionelles Korrelat
für die Beeinträchtigung der MS-Patienten sein. Ein weiterer Vergleich mit Patienten
ohne emotionale Beeinträchtigung soll die Spezifität dieser Minderaktivierung verdeutlichen.
Literatur:
1Rao et al. (1991) Neurology 41:685–696.
2Kesselring et al. (2001) Journal of Neurology 248:180–183.
3Lundqvist et al. (1998) The Karolinska Directed Emotional Faces (KDEF).
4Possamentier et al. (2003) Neuropsychology Review 13:113–143.
5Lotze et al. (2006) Neuropsychologia 44:1787–1795.