Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P711
DOI: 10.1055/s-2007-987981

Neuropsychologische Faktoren des Fatigue-Syndroms bei MS-Patienten: Paradoxes Phänomen bei Fatigue?

R Hibbeln 1, M Himmelmann 1, S Kunze 1, O Merse 1, HD Oelmann 1
  • 1Gladbeck

Fragestellung: 70% der MS-Pat. beklagen Müdigkeit (Fatigue) als tägliches Syndrom. Für 33% von ihnen ist Fatigue die belastendste Störung. Eine valide Klärung des Begriffes Fatigue steht aus. Die Pathophysiologie des Fatigue-Syndroms (FS) bei MS ist nicht bekannt. Das FS wird meist mit Eigenfragebögen (EF) erhoben. Es sind mittlere Korrelationen zu Depression und geringe zum EDSS-Score (Extended Disability Status Scale) bekannt.

Ziel der Studie ist gewesen, beeinflussende Faktoren des FS zu finden.

Methoden: Wir untersuchten N=103 Personen, n=55 ambulante MS-Pat. (McDonald-Kriterien) mit schubförmigem Verlauf mit bestehender Prophylaxe Interferon beta (Rebif 22 mcg sc 3x/Woche, Betaferon 250 mcg/ml jeden 2. Tag) und n=48 neurologisch Gesunde in einer Kontrollgruppe (KG) in einem doppelblinden, ausbalancierten, randomisierten Design.

Wir matchten Alter, Schulbildung, Tageszeit und Geschlecht in der KG.

Wir erhoben den EDSS-Score, Visus, Datum der ersten Symptome und der Erstdiagnose, vorherige Prophylaxen, zusätzliche Medikamente, Lebensqualität, Fatigue vor und nach kognitiver Belastung mit einer visuellen Analogskala (VAS), Fatigue in den letzten 4 Wochen mittels EF (Modified Fatigue Impact Scale, MFIS). Die kognitive Belastung bestand aus einer neuropsychologischen Testung (NPT) inklusive des MFIS von ca. 1,75 Stunden Dauer.

Ergebnisse:

1.) MS-Pat. vs. KG sind durch die NPT sign. mehr ermüdbar, gemessen mit der VAS (Rangsumme, MS=2661, KG=1995, U-test, 2-seitig, p=0,0147) (Abb.1).

2.) Die MFIS korreliert sign. mittel bis hoch (r=0,58/0,62, p=0,01) mit Angst und Depression (Mental Health Inventory, MHI), aber nur gering mit Ermüdung durch die NPT, gemessen mit der VAS (r=0,35, p=0,05/r=0,39, p=0,01) (Abb.2).

3.) Die subjektiven Angaben neuropsychologischer Störungen im EF (Perceived Deficits Questionnaire) korrelieren nicht sign. mit valide gemessenen Fähigkeiten bei den MS-Pat., aber zum Teil bei der KG.

4.) 22,9% der MS-Pat. (KG=37,5%) geben an, nach NPT nicht mehr sondern weniger müder zu sein (=Paradoxes Phänomen?, Abb.3).

Schlussfolgerungen:

1.) Der MFIS ist mehr mit Depression und Ängstlichkeit als mit Müdigkeit assoziiert.

2.) Die Erhebung von Beschwerden bzgl. neuropsychologischer Störungen mit einem EF ist nicht ausreichend; standardisierte neuropsychologische Tests sind notwendig.

3.) Kognitiv belastende Aufgaben erhöhen nicht notwendigerweise Fatigue.

Mit Unterstützung der Bayer Vital GmbH und Serono GmbH Deutschland

Abb.1: Fatigue: MS vs. Kontrollgruppe

Abb.2: Korrelation (rs) Fatigue (MFIS) mit VAS und Mental Health Inventary (MHI)

Abb.3: Prozent Paradoxes Phänomen: δ VAS prae – VAS post ≥0