Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P568
DOI: 10.1055/s-2007-987839

Ursachenspektrum radikulärer Schmerzen: Retrospektive Analyse eines Zuweisungsjahres

I Kaupp 1, M Kottlors 1, FX Glocker 1
  • 1Freiburg, Bad Bellingen

Fragestellung: Chronische Rückenschmerzen stellen volkswirtschaftlich ein schwerwiegendes Problem dar und sind für über 30 Milliarden € Kosten pro Jahr in den sozialen Sicherungssystemen verantwortlich. Bedingt durch die enge topographische Beziehung zur Wirbelsäule finden sich die häufigsten radikulären Läsionen im Zusammenhang mit degenerativen Wirbelsäulenveränderungen wie Bandscheibenschäden und ossäre Stenosen. Derartige Veränderungen sind mit zunehmendem Lebensalter immer häufiger und zu einem großen Teil asymptomatisch. Die folgende Arbeit untersucht die Häufigkeit alternativer Ursachen für Rückenschmerzen und radikuläre Syndrome.

Methodik: Retrospektive Untersuchung von >1000 Fällen mit Rückenschmerzen und/oder V.a. radikuläre Kompression hinsichtlich Häufigkeit und Ätiologie nicht-diskogener/vertebragener Ursachen der Beschwerden.

Ergebnisse: Erwartungsgemäß zeigte der ganz überwiegende Teil der zugewiesenen Patienten degenerative Wirbelsäulenveränderungen als Ursache der Rückenschmerzen. Primär rheumatologische Ursachen wie Sakroiliitis, Osteoporosefrakturen und die Polymyalgia rheumatica fanden sich in der Differenzialdiagnose ebenso wie entzündliche Ursachen bei immumologischen Erkrankungen (Sarkoidose, spinaler Herd bei MS) und Erreger-bedingte Radikulopathien (Borreliose, Zoster). Einmalig fand sich ein Psoasabszess und ein spinaler epiduraler Abszess als Schmerzursache. Etwa gleich häufig wie eine diabetische Plexopathie/Radikulopathie war eine isolierte paraspinale Myopathie als Ursache der Rückenschmerzen/pseudoradikulären Schmerzen nachweisbar, wobei sich in den meisten Fällen eine fazioskapulohumerale Muskeldystrophie oder Myotone Dystrophie Typ 2 molekulargenetisch sichern ließ.

Schlussfolgerung: Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass ein relevanter Anteil von Patienten mit vordergründig neuroorthopädischen Beschwerden an primär myogenen sowie entzündlich/vaskulitischen neurogenen Erkrankungen leidet. Bei der alterabhängig zunehmenden Häufigkeit degenerativer Wirbelsäulenveränderungen ist anzunehmen, dass diese oft unnötigerweise, mitunter invasiv und kostenintensiv behandelt werden und nicht selten die eigentliche Erkrankungsursache verkannt wird. Patienten mit Rückenschmerzen sollten daher grundsätzlich sorgfältig neurologisch abgeklärt werden, um die die Häufigkeit von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen niedrig zu halten.