Aktuelle Neurologie 2007; 34 - M94
DOI: 10.1055/s-2007-987490

Kognitive Funktionen bei Kindern und Jugendlichen mit zerebellären Erkrankungen

B Schoch 1, HO Karnath 1, D Timmann-Braun 1
  • 1Essen, Tübingen

Eine Bedeutung des Kleinhirns für kognitive Funktionen wird seit vielen Jahren diskutiert. Es gibt eine vergleichsweise große Anzahl von Arbeiten, die über unterschiedlich ausgeprägte Defizite in verschiedenen neuropsychologischen Tests bei Kindern mit zerebellären Tumoren berichten. Um zu prüfen, ob Schädigungen des Kleinhirns zu Beeinträchtigungen führen, die typischerweise nach Schädigungen kortikaler Areale der rechten oder der linken Hemisphäre beobachtet werden, wurden von unserer Arbeitsgruppe eine Aufmerksamkeitsaufgabe, verschiedene Sprachtests und räumlich-visuelle Aufgaben in dieser Patientengruppe untersucht.

Kinder und Jugendliche mit überwiegend gutartigen Tumoren des Kleinhirns wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach der Operation im Vergleich zu einer Kontrollgruppe untersucht. Angelehnt an Vorbefunde in der Literatur wurde überprüft, wie gut die Aufmerksamkeit zwischen zwei schnell aufeinanderfolgenden Reizen verschoben werden kann. Als Sprachtests wurden eine Verbgenerierungsaufgabe und zwei Untertests aus dem Aachener Aphasie Test (AAT; Schriftsprache und Token Test) verwandt. Weiterhin wurden Linienhalbierung, ein Durchstreichtest und eine visuelle Extinktionsaufgabe untersucht. Die betroffenen Lappen und Kerne des Kleinhirns wurden kernspintomographisch bestimmt.

Bei Kindern mit chronischen Läsionen waren in allen Aufgaben keine signifikanten Defizite im Vergleich zu den Kontrollen nachweisbar. Bei Patienten mit akuten Läsionen zeigten sich keine signifikanten Defizite in der Aufmerksamkeits- und Verbgenerierungsaufgabe. Es ergab sich kein Anhalt für das Vorliegen eines visuellen Neglekts oder einer Extinktion. Anders als in der chronischen Gruppe fanden sich bei Patienten mit akuten rechtshemisphärischen Läsionen im AAT geringe Defizite, insbesondere in dem Untertest Schriftsprache.

Unsere Untersuchungen ergaben im Unterschied zur Literatur überwiegend negative Befunde. Bekannte Befunde einer verminderten selektiven Aufmerksamkeit konnten nicht repliziert werden, auch Befunde einer gestörten Verbgenerierung nicht. Es fand sich kein Anhalt für das Vorliegen eines Neglekts, den man bei linkshemisphärischen Läsionen des Kleinhirns aufgrund der bekannten Verbindungen zur rechten Großhirnhemisphäre erwarten könnte. Die Untersuchungen bestätigten jedoch Beschreibungen bei Erwachsenen, dass leichte Zeichen einer Aphasie nach akuten rechtshemisphärischer Schädigungen des Kleinhirns auftreten können.

Gefördert durch DFG TI 239/5–2