PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(4): 407-409
DOI: 10.1055/s-2007-986262
Im Dialog

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Diskussion einer Fallgeschichte

Wolfgang  Senf
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Publication Date:
27 November 2007 (online)

Folgender Fall stand zur Begutachtung:

Frau B., beruflich selbstständig, berichtet folgende Vorgänge: Sie sei wegen Migräne bei einem Arzt in Behandlung gewesen. Dieser habe ihr nach einigen Monaten mitgeteilt, er könne nichts mehr für sie tun, sie hätte seelische Blockaden. Sie solle damit zu einer Kollegin gehen, die könne ihr helfen. Sie habe daraufhin mit dieser Ärztin Kontakt aufgenommen. Nachdem ihr in einem großen Kreis das Verfahren der Familienaufstellung vorgestellt worden sei, sei ihr vorgeschlagen worden, selbst auch eine „Familienanalyse” zu machen. Nach Einwilligung sei sie zunächst für 1œ Stunden zu einem Einzelgespräch gewesen, zu dem sie ihren Stammbaum habe mitbringen und Informationen zu ihrer Familie geben müssen. Das Honorar sei jeweils bar bezahlt worden.

Zu der ersten Sitzung habe sie eine ihrer Schwestern mitgenommen. Zu dieser Sitzung seien 17 andere zu therapierende Kundinnen gekommen. Bei allen diesen Kundinnen sei es in den Aufstellungen um Inzest, Missbrauch, Vergewaltigung gegangen. Frau B. habe sich dann selbst „Statisten” aussuchen müssen. Auch bei ihr sei es schon nach den ersten zehn Minuten nur um Inzest, Missbrauch, Vergewaltigung gegangen. Es sei die Familie des Vaters dargestellt worden, es sei um die Generation des Großvaters gegangen. Es sei dann gesagt worden, der Großvater, also der Vater des Ehemannes der Mutter von Frau B., habe diese, also die Mutter von Frau B., sexuell missbraucht. Deswegen seien zwei ihrer Geschwister von dem Großvater durch Vergewaltigung gezeugt worden und stammten nicht von dem Vater ab. Die Geschwister seien namentlich benannt worden. Die Ärztin habe auch behauptet, das könne durch einen Vaterschaftstest bewiesen werden.

Frau B. habe daraufhin ihre Mutter damit konfrontiert und ihr vorgeworfen, warum sie das nicht gesagt habe. Sie habe das zunächst geglaubt. Sie habe mit der Mutter mehrere Stunden darüber gesprochen, ohne davon Abstand nehmen zu können.

Zur nächsten Sitzung sei die Mutter mitgekommen. Das habe der Ärztin zwar nicht gepasst, sie habe dann aber Frau B. vorgeschlagen, die Familienaufstellung sofort zu machen, damit ihre Mutter dann gehen könne. Es sei dabei wieder zu der Behauptung gekommen, dass die beiden Geschwister durch den Großvater (Vater des Vaters) gezeugt worden seien. Die Mutter habe der Behauptung heftig widersprochen. Die Ärztin habe darauf geantwortet, das sei von der Mutter verdrängt worden und sie solle den Mund halten. Sie habe dann die Familie der Mutter aufgestellt, dabei sei die katholisch-konservative Haltung dieser Familie durch den Schmutz gezogen worden. Frau B. sei aufgefordert worden, auf den Teppich des Lebens zu treten, um der Familie abzuschwören. Die Ärztin habe ihr dazu eine schwere Tasche ausgehändigt, die sie dann ablegen sollte, und habe ihr Folgendes vorgesagt, was sie habe nachsprechen sollen: „Ich schwöre der Scheinheiligkeit meiner Familie ab.” Die Mutter von Frau B. sei zu diesem Zeitpunkt empört aus dem Raum gelaufen. Die Ärztin habe hinter ihr die Türe so heftig zugeschlagen, dass diese aus den Angeln gefallen sei, und habe das folgendermaßen kommentiert: „Ihre Mutter geht nicht freiwillig, jemand hat sie rausgeschmissen.”

Seit diesem Ereignis hätten die Kinder zuerst nicht mehr mit der Mutter gesprochen, es sei zu einem Riss in der Familie gekommen. Man habe daran gezweifelt, ob die Mutter die Wahrheit sage oder was überhaupt die Wahrheit sei. Das Ganze sei dann dem Vater erzählt worden. Auf eine schriftliche Vorhaltung an die Ärztin habe diese brieflich der Familie gedroht. Die älteste Schwester sei dann zum Sekten-Info gegangen, was eine Anzeige in Gang gesetzt habe. Der Sekten-Info habe sich an die Staatsanwaltschaft gewendet. Die Staatsanwaltschaft habe einen Vaterschaftstest gefordert, was den Vater völlig aus der Fassung gebracht habe. Die Mutter von Frau B. leidet inzwischen an einer chronischen PTSD.

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