Z Geburtshilfe Neonatol 2007; 211 - P117
DOI: 10.1055/s-2007-983188

Nemalin-Myopathie als seltene Ursache einer Arthrogryposis multiplex congenita

S Huppmann 1, C Czernik 1, G Stoltenburg 2, N Sarioglu 3, C Hübner 4, G Thiel 5, M Obladen 1
  • 1Klinik für Neonatologie, Charite Centrum für Frauen-, KInder- und Jugendmedizin mit Perinatalzentrum und Humangenetik, Berlin
  • 2Institut für Neuropathologie, Berlin
  • 3Abteilung für Paidopathologie und Placentologie, Institut für Pathologie, Berlin
  • 4Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie, Charite Centrum für Frauen-, Kinder- und Jugenmedizin mit Perinatalzentrum und Humangenetik, Berlin
  • 5Praxis für Humangenetik, Berlin

Die Nemalin-Myopathie oder Stäbchenkörpermyopathie (rod body myopathy) ist eine konnatale Myopathie, die mit Hypotonie, proximal betonter Muskelschwäche, Areflexie und Skelettdeformitäten einhergeht. Sie ist charakterisiert durch das Vorhandensein von intrasarkoplasmatischen oder seltener intranukleären lichtmikroskopisch sichtbaren „rods“. Die klinische Ausprägung variiert von neonatal letalen zu milden adulten Phänotypen 1. Mit dieser Krankheit sind Mutationen in fünf Genen assoziiert, die für das dünne Filamentprotein der Skelettmuskulatur kodieren: Nebulin (NEB), a- und ß- Tropomyosin, Troponin-T und a- Aktin (ACTA1) 2. Die meisten Patienten mit Nemalin-Myopathien zeigen eine Mutation im NEB- oder ACTA1-Gen 1,2.

Fallbericht: Die Mutter ist eine 28-jährige Gravida 2, Para 1. Das erste Kind sei gesund und wurde mit einem GG von 3240g geboren. Die Eltern sind konsanguin und stammen aus Sri Lanka. Bereits in der 28. SSW fielen verminderte Kindsbewegungen auf. In einer in der 32. SSW durchgeführten Pränataldiagnostik zeigten sich ein Polyhydramnion, eine fetale Akinesie, keine Schluckaktivität und multiple distale Extremitätenfehlstellungen. Bei einer humangenetischen Beurteilung, die aufgrund der oben genannten Auffälligkeiten durchgeführt wurde, konnten folgende Krankheiten der Mutter als mögliche Ursache ausgeschlossen werden: Myasthenia gravis und myotone Dystrophie. In einer Fruchtwasseruntersuchung konnten keine Hinweise für Trisomie 13, 18 oder 21 gefunden werden, ebenso ergab sich kein Hinweis auf ein Prader-Willi- oder DiGeorge-Syndrom, die Chromosomenanalyse ergab einen unauffälligen weiblichen Chromosomensatz (46, XX). Die Geburt erfolgte spontan. Eutrophes weibliches Frühgeborenes, SSW 36+2, GG 2440g, NapH 7,22, APGAR 1/1/1, maximale Herzfrequenz 40/min, postnatal vereinzelt Schnappatmung, sonst keinerlei Atmungsaktivität, keine Muskelaktivität, Muskulatur extrem hypoton, Extremitätenmuskulatur atroph und teigig. Arthrogryposis multiplex congenita mit Beugekontrakturen der oberen und unteren Extremität, überlappende Finger und Zehen. Verzicht auf Reanimations-Maßnahmen gemäss Rücksprache mit beiden Eltern. Das Kind verstarb in der 25. Lebensminute an der Ateminsuffizienz. Die Obduktion und eine postmortal durchgeführte Muskelbiopsie zeigten Muskelfasern mit myofibrillärer Degeneration und kondensierten myofibrillären Anteilen im Sinne der „rods“ und gaben somit den Hinweis auf eine schwere konnatale Form einer Nemalin-Myopathie. Schlussfolgerung: Neben häufigeren bereits oben beschriebenen Ursachen, muss auch die seltene konnatale Nemalin-Myopathie als Ursache einer muskulären Hypotonie in Betracht gezogen werden. Die morphologische Diagnose, die durch die Muskelbiopsie und die Autopsie gestellt wurde, ist durch eine molekulargenetische Untersuchung zu sichern.