Gesundheitswesen 2007; 69 - V51
DOI: 10.1055/s-2007-982834

Lebenslauforientierte Gruppenprophylaxe: Eckpunkte und Einbettung in ein „Child-care-System“

C Heintze 1
  • 1Leipzig

Seit Anfang der 90er Jahre gibt es in Deutschland einen wachsenden Anteil von Menschen, die in mehrfacher Hinsicht arm sind: arm an Einkommen und Vermögen, arm an Bildung und Gesundheit, arm an Persönlichkeitsressourcen. Dramatisch ist die Zunahme von Kinderarmut.

Nach einer 2005 erschienenen Unicef-Studie lag sie Anfang der 90er Jahre mit in Westdeutschland 4,5% wenig über skandinavischem Niveau, verdoppelte sich bis 2001 jedoch und erreicht heute fast angelsächsisches Niveau.

Obwohl es an Wissen über die vielfältigen Facetten der sich sozial polarisierenden deutschen Gesellschaft nicht mangelt, bedurfte es einer Serie spektakulärer Fälle von Kindesmisshandlungen, ehe „Unterschicht“ zum Thema wurde und auch die breitere Öffentlichkeit registrierte, dass ein relevanter und wachsender Anteil von Eltern Erziehungsfunktionen entweder gar nicht oder nur mit entsprechender Unterstützung wahrnehmen kann.

Ausgehend von empirischen Befunden zur schichtenspezifisch unterschiedlichen Gesundheitssituation diskutiert der Vortrag Ausrichtung, Prämissen und Methodik der in Deutschland praktizierten zahnärztlichen Gruppenprophylaxe.

Der Rückgang der Kariesprävalenz in der EU15 wie auch in Deutschland ist beeindruckend. Gleichwohl ist Karies in der Bevölkerung nicht insgesamt unter Kontrolle. Zu beobachten ist eine Scherenbewegung: auf der einen Seite wächst unter den Zwölfjährigen die Gruppe mit naturgesundem Gebiss, auf der anderen Seite gibt es Kinder und Jugendliche mit starken Defiziten und kaum Zugang zu wirksamer Gesundheitsvorsorge.

Für den öffentlichen Gesundheitsdienst erwachsen daraus neue Herausforderungen. Statt generell und damit auch bei Risikogruppen auf Eltern zu setzen, die zu guter Erziehung willens und fähig sind, sollte vom Kind her gedacht und den tatsächlichen lebensweltlichen Bedingungen heutiger Eltern Rechnung getragen werden.

Der Vortrag plädiert für eine lebenslauforientierte Gruppenprophylaxe, die im Rahmen heterogener Lerngruppen einen integrativen Ansatz verfolgt, bei dem resiliente Risikokinder Angebote über positive Vorbilder erhalten und eine tägliche Praxis des gemeinschaftlichen Zähneputzens in Anknüpfung an gesunde Ernährung in Kindergarten und Schule nachhaltiges Lernen bewirkt.