Gesundheitswesen 2007; 69 - V11
DOI: 10.1055/s-2007-982794

Gesundheit als Standortfaktor

G Schmolz 1, D Krämer 1
  • 1Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg (Abt. 9 des Regierungspräsidiums Stuttgart), Stuttgart

Edmund Phelps, 2006 Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, bezeichnet es als „ein Wunder“, dass es in Deutschland noch Investitionen gibt. Offenbar gibt es trotz geschrumpfter Produktivität und beängstigender demographischer Zukunftsaussichten in der BRD noch immer entscheidende Standortvorteile. Nach wie vor zählen hierzu Verkehrsinfrastruktur, Rechtssicherheit, personelle Ressourcen. Das ausgezeichnete (sic!) dt. Gesundheitssystem spielte bei der Standortwahl bisher keine oder nur eine marginale Rolle. Das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg führt bei seinen 10 wichtigsten Standortfaktoren nur einen mit Gesundheitsrelevanz auf: den hohen Freizeitwert.

Gezielt angesprochen auf die Bedeutung der Gesundheitsversorgung und gesunder Umweltbedingungen nennen potentielle Investoren u.a. konkret: einwandfreies Trinkwasser, Rauchverbot an Schulen, Pandemieplanung, arbeitsmedizinische Dienste. Tatsächlich hat der Standort Deutschland diese und zahlreiche weitere gesundheitsbezogene Standortvorteile zu bieten.

Wesentliche Elemente eines flächendeckenden, vernetzten und hoch effektiven Gesundheitssystems sind u.a.:

  • niedrigschwelliger Zugang zur ambulanten und stationären Versorgung rund um die Uhr

  • hohe Dichte an Spezialkliniken aller Art

  • hohe Versorgungsdichte und -qualität der stationären medizinischen Rehabilitation

  • Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfstoffen (IPV nicht überall in Europa eingeführt)

  • weitgehend freie Arztwahl bei (noch) guter Ärztedichte in der Fläche

  • flächendeckender Rettungsdienst mit kurzen Rettungszeiten

  • Vorsorge als Kassenleistung (U1– J1, Krebsvorsorge, Jugendarbeitsschutz)

  • Schuluntersuchungen

  • fachlich hochkompetenter arbeitsmedizinischer Dienst für alle Betriebe verfügbar

  • gemeindenaher öffentlicher Gesundheitsdienst mit hoheitlichen Zuständigkeiten für den Gesundheitsschutz, auch umweltbezogen

Die Erfolge dieser Strukturen können sich als Standortvorteile sehen lassen:

  • europaweit Spitzenwerte bei der kinderärztlichen Früherkennungsuntersuchung

  • erhebliche Fortschritte bei der Mütter- und Säuglingssterblichkeit

  • gut überwachte, risikoarme Umwelt (Trink- und Badegewässer, Luftreinehaltepläne, sanierte Altlasten, hohe Lebensmittelsicherheit, hygienisch einwandfreie Gemeinschaftseinrichten)

Darüber hinaus verfügt der Standort Deutschland über ein breites Angebot an Wellnessparks, Freizeiteinrichtungen und innerstädtische Ausgleichsflächen.

Insgesamt ergibt sich eine Fülle von gesundheitsbezogenen Standortvorteilen, die allerdings in der Standortwahl bisher keinen ausreichenden Stellenwert haben und zu wenig kommuniziert werden. Hier könnte dem ÖGD neben seiner originären Aufgabe der Sicherstellung von Hygiene- und Umweltstandards durch synoptische Berichterstattung an Wirtschaftsförderer, Kommunal- und Landespolitiker wichtige Impulse geben. Die erforderlichen Daten hierfür könnte bereits jetzt die Gesundheitsberichterstattung auf Kreis-, Landes- und Bundesebene liefern. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung und die zunehmende Bedeutung gesunder Lebensverhältnisse am Arbeitsplatz und außerhalb gewinnen Gesundheitsförderung und alle Ebenen der Prävention als gesundheitsbezogener Standortindikator eine zunehmende und erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Mit dieser Argumentation sollte der ÖGD dem präventiven Gedanken auf allen politischen Ebenen breite Unterstützung verschaffen können. Hier besteht bei der BRD Nachholbedarf.