Balint Journal 2007; 8(2): 68
DOI: 10.1055/s-2007-981226
Buchbesprechung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Stein des Sisyphos - von der Kräankung zum Glauben

T. Bartsch
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Publication History

Publication Date:
27 June 2007 (online)

Walsrode, 2005, 71 DIN A4-Seiten, geb., € 16,-, nur über Selbstverlag Edition Astrup erhältlich (Ulrike Bartsch, Edition Astrup, Kirchboitzen 72, 29664 Walsrode, edition.astrup@t-online.de)

Ein schönes Buch, das ich mit Interesse und zunehmender Anteilnahme gelesen habe und herzlich gerne den Lesern des Balint-Journals empfehle. Thomas Bartsch ist Balint-Gruppenleiter der DBG. Er hat sich einen gewaltigen Stoff aufgeladen und konsequent an den Punkt gebracht, der für viele von uns und unsere Arbeit - auch und gerade für die Balint-Arbeit - großse Relevanz hat. Es geht um die Herausforderungen und Chancen, die in der Auseinandersetzung mit selbstgefertigten Konflikten und Frustrationen, mit Kränkungen und Verletzungen, aber auch mit Hoffnung und Glauben zusammenhängen. Mit „dem Stein des Sisyphos” reiht sich Thomas Bartsch in die Reihe derer ein, die sich der griechischen Mythen bedienen, um komplexe Zusammenhänge, Situationen und Akteure der Gegenwart - auch in der ärztlichen Praxis - im klaren Lichte der mythologischen Vergangenheit und der nicht ganz so klaren Erhellung durch die Tiefenpsychologie darzustellen: Ödipus, Elektra, Herakles, Dädalus, Ikarus oder auch Pinocchio. Die Unterscheidung zwischen „klar” und nicht „ganz so klar” ergibt sich aus der scheinbaren Einfachheit des Mythos, der Mythen bei der Darstellung komplexer Zusammenhänge gegenüber unseren etwas gedankenschweren Bemühungen - auch von Thomas Bartsch, tiefenpsychologische Theorien für denselben Zweck einzusetzen.

Der Stein des Sisyphos ist ein wunderbares Symbol - und Buch - der Geschichte einer nie endenden Frustration, die der Autor aber als Herausforderung anzunehmen empfiehlt und nicht als Annahme der Resignation im Sinne des Existenzialismus eines Albert Camus. Aber auch nicht wie die Erfolgsgeschichten des Herakles, die bei vielen Autoren an der Oberfläche von Omnipotenz und Versagen bleiben (eingeschlossen sind die eigenen diesbezüglichen Bemühungen des Referenten: Herakles am Scheideweg). Der Mythos des Sisyphos - und sein Stein, sind viel eher mit König Ödipus zu vergleichen, mit unbewältigten, in die Tiefe verdrängten Verletzungen, Kränkungen, Schuld- und Schamgefühlen, mit der Verzweiflung.

Wie gehe ich damit um, wie stelle ich mich dem? Das Nachdenken über den Umgang mit dem, was wir verdrängen und mit den unbewussten Kräften, die ja doch auf unserer Seite stehen, dokumentiert Thomas Bartsch am Ende seines fast sechzig Seiten starken Essays mit offensichtlich eigenen Gedichten, die während dieser Arbeit entstanden sind.

Neben der Skulptur dieses Steines des Sisyphos von Mohamed Abla auf dem Deckblatt stehen die Gedichte für den Versuch, die Herausforderung nicht nur tiefenpsychologisch, sondern auch mit künstlerischen sprachlichen Formen anzunehmen. Beispielhaft für das Gemeinte dieser Minimal-Art seien das erste und das letzte Gedicht aus diesem Buch … zitiert zuerst ein Gedicht von Rose Ausländer aus „Der Traum hat offene Augen” 1987:

So

So Soll es sein

wie es
nie war

wie es
nie
werden wird

Das letzte Gedicht von Thomas Bartsch selbst, nimmt diesen Faden auf und spinnt ihn weiter mit neuer Kraft, um nicht zu sagen: mit Glaubenskraft:

Lichtkraft schöpfen
Wenn die Sonne zersplittert
Und die Nacht
Aus Narben und Wunden bricht

Verse orten
Wenn der Mond entgleitet
Und der fern-nahe Stern
Eines Traumes erlischt

Im Wellental
Betend der Lüge entsagen
Und Tiefe erkunden
Trotz wirbelnder Gischt

Als Suchender
Fremde um Fremde besiegen
Wenn Gott dir begegnet
Und in dir spricht

E. R. Petzold, Kusterdingen

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