Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P340
DOI: 10.1055/s-2007-976468

Critical illness myopathie: Eine erworbene Kanalerkrankung kritisch kranker Patienten

S Koch 1, F Behse 1, F Bubser 1, M Deja 1, B Heyn 1, S Weber-Carstens 1
  • 1Berlin

Hintergrund: Die bei kritisch kranken Patienten häufig auftretenden Paresen stellen das klinische Korrelat für ein erworbenes „Organversagen“ im Bereich der motorischen Einheit dar. Im Tiermodell findet sich eine verminderte Muskelmembranerregbarkeit aufgrund einer Verringerung der langsamen Inaktivierung spannungsabhängiger Na-Kanäle.

Fragestellung: Findet sich bei analgosedierten Patienten in der Frühphase der kritischen Erkrankung eine verminderte Muskelmembranerregbarkeit? (nachgewiesen anhand der direkten Muskelstimulation (DMS)).

Methode: Prospektive Untersuchung analgosedierter, beatmeter Patienten einer operativen Intensivstation. Nach standardisiertem Protokoll wurden im dreitägigen Abstand 6 Muskeln elektromyographisch sowie 4 Nerven elektroneurographisch untersucht. Die Muskelmembranerregbarkeit wurde anhand der DMS des M. tib. ant. bestimmt (Registrierung des Muskelantwortpotentials mit einer intramuskulären Nadelelektrode im distalen Drittel des M. tib. ant. nach direkter Stimulation des Muskels mit einer Oberflächenelektrode).

Ergebnisse: (1) Von 29 Patienten zeigten n=20 im EMG eine pathologische Spontanaktivität sowie reduzierte Amplituden des Muskelantwortpotentials. n=17 der Patienten mit positivem EMG-Befund zeigten reduzierte DMS Amplituden (Amp <3mV) (0,5mV (0/2,5) (Median (25%/75% Perzentile)). Diese elektrophysiologischen Veränderungen traten in der Anfangsphase der kritischen Erkrankung nach 5 + 1,9 Tagen (Mittelwert + SD) auf.

(2) Nach Wiedererlangen des Bewusstseins konnten n=11 der Patienten mit reduzierten DMS Amplituden elektrophysiologisch und neurologisch nachuntersucht werden. n=4 Patienten wiesen eine Besserung/Normalisierung der DMS Amplituden auf (4,05mV (2,55/8,55)); n=7 Patienten zeigten weiterhin reduzierte DMS Amplituden (0,1mV (0/0,8)). Die Patienten mit Besserung der DMS Amplitude zeigten in der neurologischen Untersuchung einen gemittelten MRC Score von 4,5 (4,5/4,5); die Patienten mit unverändert reduzierten DMS Amplituden zeigten im Mittel einen MRC Score von 3 (2/3,25).

Schlussfolgerung: Wir konnten zeigen, dass mithilfe elektrophysiologischer Untersuchungen (1) ein frühzeitiger Nachweis einer Critical illness myopathie möglich ist und (2) die mittels DMS nachgewiesene verminderte Muskelmembranerregbarkeit sowie die schnelle Regeneration bei einigen Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer erworbene Kanalerkrankung der Muskelfaser anzeigen.