Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P335
DOI: 10.1055/s-2007-976463

Transkranielle Gleichtstromstimulation induziert Veränderungen von A-Faser-vermittelter Temperaturempfindung sowie mechanischer Detektion und Schmerzsensitivität

CG Bachmann 1, S Muschinsky 1, MA Nitsche 1, R Rolke 1, W Magerl 1, RD Treede 1, W Paulus 1, S Happe 1
  • 1Göttingen, Mainz, Bremen

Fragestellung: Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS=transcranial direct current stimulation) induziert langdauernde Exzitabilitätsveränderungen des zerebralen Cortex. So konnte bereits gezeigt werden, dass tDCS somatsensibel evozierte Potentiale (SEP) und die taktile Perzeption moduliert. Das Ziel unserer Studie war, den Effekt der tDCS auf die thermische und mechanische Wahrnehmung durch quantitative sensorische Testung (QST) zu untersuchen.

Methoden: Acht gesunde Kontrollpersonen (3 weiblich, 5männlich, Alter 25–43 Jahre), die unauffällige Medianus-SEP, eine unauffällige Medianus-Nervenleitgeschwindigkeit, normale Laborblutparameter sowie in Gegenwart und Vorgeschichte keine relevanten neurologischen, psychiatrischen oder andere Erkrankungen (einschließlich Diabetes mellitus und Drogenabusus) hatten, wurden als Probanden ausgewählt. Sie wurden mit QST untersucht vor und nach anodaler, kathodaler or sham (=Schein) tDCS bei einer Stromstärke von 1 mA, appliziert in randomisierter Reihenfolge über 15min mit der aktiven Elektrode über dem linken primären Motorcortex und der Referenzelektrode über der rechten Orbita. Ein ausgedehntes QST-Protokoll, das die thermische und mechanische Detektion sowie Schmerzschwellen umfasst, ausgearbeitet vom Deutschen Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) wurde an den Radialseiten beider Hände vor und nach tDCS durchgeführt.

Ergebnisse: Nach kathodaler tDCS waren die Kaltschwelle, die mechanische Detektionsschwelle und die mechanische Schmerzschwelle auf Nadelreize (Pinprick) in der kontralateralen Hand im Vergleich zur ipsilateralen Kontrollhand signifikant erhöht (alle p<0,005). Gleichermassen nahm die Schmerzbewertung überschwelliger Nadelreize ab (p<0005). Die Wärmedetektionsschwelle, die Schmerzschwellen für Kälte, Hitze oder stumpfen Druck sowie die Schmerzsummation (Wind up) blieben hingegen unverändert. Nach anodaler oder sham tDCS wurden keine relevanten signifikanten Veränderungen bemerkt.

Schlussfolgerungen: Kathodale, nicht jedoch anodale oder sham tDCS vermindern temporär die Sensitivität A-Faser-vermittelter somatosensorischer Wahrnehmung, inbesondere die taktile Detektion, Kältewahrnehmung und Schmerzempfindung bei Nadelreizen. Im Gegensatz dazu war die C-Faser-vermittelte Sensorik unverändert. Die Verminderung der somatosensorischen Perzeption weist auf eine kurzzeitige Suppression der sensorischen Bahnen nach kathodaler tDCS hin.