Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P276
DOI: 10.1055/s-2007-976404

Kognitive Kompensationsmechanismen bei präsymptomatischem Morbus Huntington

C Beste 1, C Saft 1, J Yordanova 1, J Andrich 1, R Gold 1, M Falkenstein 1, V Kolev 1
  • 1Bochum; Sofia, BG; Dortmund

Morbus Huntington (HD) ist eine autosomal, dominante Erkrankung der Basalganglien. Die Erkrankung lässt sich in ein symptomatisches (HD) und ein präsymptomatisches Stadium (pHD) einteilen. Neurodegenerative Veränderungen sind dabei auf verschiedenen Ebenen schon im präsymptomatischen Stadium zu finden. Unter Anderem finden sich Dysfunktionen des striatalen Dopaminsystems (D2-Rezeptoren). Andererseits weist neurobiologische Forschung auf Kompensationsmechanismen im präsymptomatischen Stadium hin, die auf dem Adenosin-2A Rezeptorsystem beruhen könnten. Das Dopaminsystem und das A2A-Rezeptorsystem sind funktionell eng verbunden. Ein Ereigniskorreliertes Potential, die Fehlernegativität (Ne/ERN), welche ein Indikator für Handlungskontrolle darstellt, basiert auf der Integrität des striatalen Dopaminsystems. Ziel dieser Studie war es zu klären, ob die Ne im präsymptomatischen Stadium Veränderungen unterworfen ist, die sich degenerativen oder kompensatorischen Prozessen zuschreiben lässt.

Die Ne unterschied sich nicht zwischen der pHD-Gruppe und gesunden Kontrollen (F(1,18)=1,69p=0,209). Gleiches gilt für die Verhaltensmaße (F(1,18)=1,50p=0,235). Da sich die Ne aus zwei verschiedenen Frequenzbändern („Delta-Band“ und „Theta-Band“) zusammensetzt, wurde mittels eine „Wavelet-Analyse“ überprüft, ob es Veränderungen in den zugrundeliegenden Frequenzbändern gibt. Hierbei zeigte sich bei der pHD-Gruppe eine Erhöhung der Waveletpower (F(1,18)=5,97p=0,025) selektiv für das „Delta-Band“. Diese Erhöhung war zudem invers mit dem „estimated age of onset (eAO)“ korreliert (r=–0,793***), der den wahrscheinlichen Zeitpunkt des Eintritts ins das symptomatische Stadium prognostiziert. Die Waveletpower war so umso höher, je näher die Person am eAO war.

Diese Ergebnisse erscheinen paradox: In Bezug auf die Verhaltensdaten könnte die Erhöhung der Waveletpower einen kompensatorischen Mechanismus widerspiegeln. Die Beziehung zum eAO deutet jedoch darauf hin, dass diese Erhöhung auch Teil des pathogenen Mechanismus darstellt. Auf einer neurobiologischen Ebene gibt es ähnliche Widersprüche zu kompensatorischen aber auch pathogenen Effekten der A2A-Rezeptoren. Hier wird davon ausgegangen, dass A2A-Rezeptoren zwar zeitweise kompensatorische Effekte haben, diese aber Teil des gesamten pathologischen Prozesses sind. Kognitiv kompensatorische Mechanismen könnten somit ebenfalls ein zeitweiser Effekt der Pathogenese sein und spiegeln somit die neurobiologischen Prozesse bei pHD wider.