Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P265
DOI: 10.1055/s-2007-976393

Die Rolle vorbestehender psychiatrischer Morbiditäten für den Verlauf nach primär organischen Schwindelsyndromen -Ergebnisse einer Longitudinalstudie-

C Best 1, R Tschan 1, P Schlindwein 1, A Eckhardt-Henn 1, S Bense 1, M Dieterich 1
  • 1Mainz

Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung einer organischen Schwindelerkrankungen wurden Koinzidenzen von bis zu 50% für das gleichzeitige Vorliegen psychiatrischer Störungen beschrieben. Daraus ergab sich die Frage, welcher Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer vestibulären Erkrankung und dem Entstehen einer psychiatrischen Komorbidität besteht. Ziel der Studie war es, Art und Häufigkeit psychiatrischer Komorbiditäten im Verlauf einer organischen Schwindelerkrankung zu erfassen und den Einfluss von bereits in der Vorgeschichte abgelaufenen psychiatrischen Morbiditäten auf den weiteren Krankheitsverlauf bei Patienten mit primär vestibulären Erkrankungen zu evaluieren.

In einer interdisziplinären prospektiven Studie in Longitudinaldesign wurden bislang 68 Patienten eingeschlossen (n=27 vestibuläre Migräne (VM), n=8M. Menière (MM), n=19 gutartiger peripherer Lagerungsschwindel (BPPV), n=14 Neuritis vestibularis (NV)). Alle Patienten wurden einer klinisch-neurologischen, neuro-otologischen und apparativen vestibulären Diagnostik unterzogen. Weiterhin erfolgte eine ausführliche und strukturierte psychometrische Untersuchung. Zu insgesamt 5 Zeitpunkten innerhalb eines Jahres erfolgten Verlaufkontrollen (T0 bis T4).

Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung T0 bestand kein Unterschied hinsichtlich des Erlebens der Schwindelbeschwerden und Auftretens psychiatrischer Störungen in den 4 Diagnosegruppen (36,8% bis 51,9% Prävalenz). Im Verlauf gaben die VM Patienten an, signifikant mehr unter Schwindelbeschwerden zu leiden (85%) als Patienten der anderen Subgruppen (38%, p=0,007). Weiterhin zeigte sich ein signifikant erhöhtes Neuauftreten von somatoformen Störungen bei Patienten mit VM (22% bei VM, 0% bei den Übrigen bei T4; p=0,019). Auch das Risiko für das Auftreten psychiatrischer Störungen bei Patienten mit vorbekannter und bereits abgeschlossener psychiatrischer Morbidität war signifikant erhöht (Komorbidität von 87,5% bei vorherigen psychiatrischen Störungen, 50% bei den Anderen, p=0,001).

Fazit: Das Vorliegen einer psychiatrischen Störung in der Vorgeschichte ist ein starker Prädiktor für die Entwicklung einer solchen Komorbidität im Rahmen eines akuten organischen Schwindelsyndroms. Bei vestibulärer Migräne besteht unabhängig von der psychiatrischen Vorgeschichte ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer somatoformen Störung. Dies ist möglicherweise auf das unvorhersagbare Auftreten von akuten Attacken im Verlauf zurückzuführen.