Zusammenfassung
Der Wandel der Arzt-Patienten Beziehung und die Implementierung eines partnerschaftlichen
Interaktionsmodells (shared decision making ) in den medizinischen Behandlungsverlauf wurden in jüngster Vergangenheit vielfach
beschrieben. Überwiegend wurden hierbei die Sicht und die Rolle der Patienten thematisiert.
Die vorliegende Studie untersucht die Einstellung der Ärzte zum shared decision making . Auf der Basis von 15 fokussierten Interviews mit Klinikärzten wird sich dem Gegenstand
auf der Basis eines explorativen Ansatzes genähert. Den Befragten ist der Begriff
shared decision making im allgemeinen nicht geläufig, sie stehen aber einer partnerschaftlichen Arzt-Patient-Beziehung
zumeist zustimmend gegenüber. Vielfach wird auch auf Hindernisse für deren Umsetzung
hingewiesen. Mitunter weicht der Deutungskontext des Konzeptes von dem der Patienten
ab. Es sollten, um die Realisierung partnerschaftlicher Kooperationsmuster im Behandlungsprozess
systematisch zu verbessern, weitere differentielle Studien mit standardisierten Instrumenten
durchgeführt werden. Neben der Sicht der Ärzte und der Patienten erscheint es wichtig,
auch die Rolle anderer in den medizinischen Entscheidungsprozess integrierter Personengruppen
aufzugreifen wie z. B. die der Pflege bzw. der Patientenangehörigen.
Abstract
The changes in the relationship between doctors and patients and the transfer of shared decision making into medical treatment has often been discussed. The role and the perspective of
the patients are primarily described. The aim of our study is to examine the attitudes
of physicians regarding the shared decision making concept, based on 15 interviews with clinical doctors. Our findings show that most
doctors know the content of the concept and mostly agree with it. Practical barriers
for the realisation of shared decision making are often stressed. The meaning of the concept of shared decision making for the physicians is in some respects different from the meaning of this concept
for the patients. It is important to examine this concept more particularly with standardised
instruments. It will be necessary to explore not only the role of patients and physicians
in the medical decision making process but also the position of other relevant persons like the relatives of the
patients or the nursing staff.
Schlüsselwörter
shared decision making - Arzt-Patient-Beziehung - Psychoonkologie
Key words
Shared decision making - doctor-patient relationship - psycho-oncology
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1 Erinnert sei an die Gründung eines speziellen Förderschwerpunktes beim BMGS im Jahr
2000 [10 ], und auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2005) ist zu lesen, dass der
begonnene Weg zu einer stärkeren Patientenpartizipation fortgesetzt werden soll [14, S.101 ].
2 Eine weitere, hier nicht weiter behandelte Ebene betrifft die kollektiven Beteiligungs-
und Mitspracherechte von Patienten bzw. ihren Vertretern (z. B. auf administrativer
Ebene im Gemeinsamen Bundesausschuss seit 1.1.2004).
3 Integriert sind im Folgenden Ergebnisse eines Promotionsvorhabens, das auf der Basis
eines Projektes der Deutschen Krebshilfe e. V. durchgeführt wurde (Förderkennzeichen
70-2903).
4 Der Grundgedanke des Modells wurde im Zusammenhang mit der Stu-dienvorstellung vor
Beginn des Interviews kurz umrissen.
5 Auf Grund der kleinen Stichprobe wurden die Antworten der Befragten vollständig anonymisiert.
Der Buchstabe nach dem Zitat kennzeichnet lediglich einen zufällig vergebenen internen
Zuordnungscode. Eckige Klammern innerhalb der Zitate verweisen auf größere Kürzungen
durch die Autoren (Wortgruppen oder Sätze), Punkte ohne Klammern hingegen auf das
Weglassen überflüssiger Füllwörter oder Wiederholungen.
6 Der zuletzt genannte Punkt dürfte sich infolge neuer Haustarifverträge zum Jahresende
2006 zumindest etwas entschärft haben.
Korrespondenzadresse
Dr. J. Ernst
Universität Leipzig Medizinische FakultätInstitut für Arbeits- und Sozial-medizin
Selbständige Abteilung Sozialmedizin
Riemannstr. 32
04107 Leipzig
eMail: Jochen.Ernst@medizin.uni-leipzig.de