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DOI: 10.1055/s-2007-972099
Gibt es das „Mittelmeersyndrom“? Zum Zusammenhang von Psyche, Migration, Kultur und Schmerz
Fragestellung: Den Klischees vom „türkischen Ganzkörperschmerz“ beruhen z.T. entsprechende Erfahrungen aus dem medizinisch-pflegerischen Versorgungsalltag. Sie werden aber durch die unreflektierte Weitergabe zum Problem und haben zumeist einen abwertenden Charakter. Objektivierende Untersuchungen zum Themenkreis „Ethnizität und Schmerz“ notwendig.
Methodik: Prospektive Querschnittsstudie (10/2001–4/2002) in 3 internistisch/gynäkologischen Klinikrettungsstellen Berlins; 30minütige standardisierte Interviews (72 Fragen): u.a. Erfassung von Geschlecht, Alter, Schulbildung, Ethnizität, Migrationsaspekten, Schmerzstärke, -regionen (Einzeichnen in eine Körperskizze*), -dauer, Lebenszufriedenheit, Behandlungsdringlichkeit, psychischer Belastung, Diagnose.
Ergebnisse: Interviews mit 486 befragten Frauen, davon 30% türkischstämmige Migrantinnen. (a) Schmerzen im Alltag: Belastungen durch Kopf- und Gliederschmerzen wurden signifikant häufiger von Migrantinnen türkischer/kurdischer Herkunft mitgeteilt als von deutschen Frauen. (b) Schmerzstärke: Nur ältere Migrantinnen nannten im Vergleich zu den deutschen Patientinnen höhere Werte. (c) Schmerzregionen: Migrantinnen markierten* insgesamt deutlich mehr Schmerzregionen als deutsche Patientinnen. Ältere Migrantinnen gaben vergleichsweise mehr Schmerzregionen an.
Schlussfolgerungen: Sowohl Schmerzdeutung als auch -ausdruck sind soziokulturell bedingt. Unterschiede zwischen Migrantinnen und einheimischen Patientinnen sollten dazu führen, bei Diagnosestellung und Therapie Lebenssituation und spezifische Belastungen stärker zu berücksichtigen.