Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2007; 42(2): 130-135
DOI: 10.1055/s-2007-971165
Fachwissen: Topthema: Antibiotikatherapie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Einfluss des Antibiotikaverbrauchs auf Resistenzbildung und -selektion

The effect of antimicrobial use on emergence and selection of resistanceStephan Harbarth
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Publication Date:
16 February 2007 (online)

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Abstract

Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Antibiotika-Verbrauch und Resistenz. Zumeist läuft dieser Prozess in zwei Phasen ab: die erste besteht in der Resistenzentstehung, die je nach Bakterienart zwischen 1 Tag und 3 Jahrzehnten dauern kann, und dann der Selektion dieser resistenten Bakterien durch ungezielten Antibiotika-Einsatz. Lässt der Selektionsdruck nach durch Änderung der Verschreibungspraktiken, so sind viele Resistenzen entweder nur langsam oder gar nicht mehr reversibel. Der übermäßige Einsatz von Breispektrumantibiotika hat individuelle und ökologische Effekte, die klinische Konsequenzen nach sich ziehen und zur Verteuerung der Antibiotikatherapie führen können.

Abstract

There is a direct relationship between antibiotic use and resistance. A two-stage model for the development of antibiotic resistance has been suggested: antibiotic resistance is first induced (emergence) and then followed by its spread, facilitated by antibiotic selection pressure. Importantly, the decline in resistance after treatment cessation or a reduction in the volume of antibiotic use is much slower than its emergence. Excessive antibiotic use has individual and ecologic effects that can alter clinical practice and increase treatment costs.

Kernaussagen

  • Antibiotikaresistente Erreger treten am häufigsten auf Intensivstationen auf. Aufgrund der Vielzahl abwehrgeschwächter Patienten werden täglich Breitbandantibiotika eingesetzt. Das erzeugt einen Selektionsdruck, der entscheidend an der Verbreitung von multiresistenten Erregern beteiligt ist.

  • Deutsche Intensivstationen haben ein endemisches Auftreten von methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und Breitspektrum-Betalaktamase produzierenden Enterobakterien (ESBL). Die Resistenzsituation ist noch relativ günstig verglichen mit südeuropäischen Ländern und den Vereinigten Staaten.

  • Antibiotikaresistenz ist nicht nur ein von Menschen gemachtes Problem. Allerdings wird es durch den Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin extrem beschleunigt und verstärkt.

  • Man unterscheidet primäre und sekundäre Resistenz (intrinsic und acquired resistance). Für die Resistenzentstehung sind fünf Hauptmechanismen verantwortlich. Kreuzresistenzen sind häufig.

  • Auf Intensivstationen kommt es zur Resistenzverbreitung durch:

    • „Import” von Patienten, die mit resistenten Bakterien besiedelt sind

    • Induktion von „schlummernden” Resistenzen (z.B. Enterobacter spp.) durch Antibiotika

    • Selektion bereits bestehender Resistenzen durch Abtöten der sensiblen Patientenflora

    • Mangelnde Hygiene und Kreuzübertragungen

  • Resistenzentstehung und -selektion während der Antibiotikatherapie einer Infektion beobachtet man am häufigsten bei Enterobacter spp., Pseudomonas spp. und anderen gramnegativen Bakterien. Bei Staphylococcus aureus kommt es unter Oxacillin-Therapie nicht zur Resistenzentstehung (MRSA).

  • Bei resistenten, grampositiven Bakterien wie MRSA, VRE und penicillinresistenten Pneumokokken (PRP) verursacht der Antibiotikaeinsatz eine teilweise oder komplette Auslöschung der sensiblen, endogenen Flora auf der Haut (MRSA), im Darm (VRE) oder im Nasen-Rachen-Raum (PRP). Dadurch wird sowohl die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Patient, der bisher frei von resistenten Bakterien war, mit resistenten Bakterien besiedelt wird (z.B. durch Kreuzübertragung) als auch, dass ein Patient, der bereits Träger von resistenten Bakterien ist, zu einer Übertragungsquelle wird und andere Patienten indirekt kontaminiert.

  • Der Einsatz von Breitspektrumantibiotika trägt zur Verbreitung von MRSA bei. Dies ist insbesondere für Fluoroquinolone wie Ciprofloxacin nachgewiesen worden.

  • Vielversprechende Ansatzmöglichkeiten zur Verbesserung der Antibiotikatherapie sind Deeskalationsprinzip, Einsatz neuer molekularer Methoden zur Schnellbestimmung sowie „intelligente” Systeme zur individuellen Antibiotikaberatung.

Literaturverzeichnis

PD Dr. med. Stephan Harbarth

Email: stephan.harbarth@hcuge.ch