PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(3): 283-287
DOI: 10.1055/s-2007-970996
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Man muss Verunsicherungen zumuten”

Roswita  Königswieser Unternehmensberaterin, im Gespräch mit , Jochen  Schweitzer, Julika  Zwack und Arist von  Schlippe
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Publication Date:
14 September 2007 (online)

PiD: Was muss ein Leser von Ihnen wissen, der mit Ihrem Namen zunächst nichts verbindet?

Roswita Königswieser: Die Kernkompetenz von mir und meinem Unternehmen „Königswieser & Network”[1] ist die Begleitung von Veränderungsprojekten in mittelständischen Unternehmen und Konzernen. Ein zweites Feld ist die Qualifizierung von Beratern und ein drittes ist die Forschung. Es interessieren uns die Schnittstellen Wirtschaft und Gesellschaft und die Wirkungsweise von Interventionen in schwierigen Changeprozessen.

Für welche Problemstellungen werden Sie typischerweise angefragt?

Nehmen wir zwei ganz konkrete Beispiele. Die Höherpositionierung der Marke Audi war ein sehr spannendes Projekt über drei Jahre. Ziel der Vorstände war, sich die gesamte Organisation anzuschauen: Wo stehen wir am Markt und wie können wir es schaffen von einem sehr biederen Image wegzukommen? Früher hieß es „Mein Opa fährt einen Audi”, oder „Das sind die Leute mit Hut im Auto.” Die Vorstände, vor allem Herbert Demel, der damals Vorstandsvorsitzender war, wussten, dass für ein bayrisches Unternehmen, das sich vom Konzern emanzipieren will, ein mentaler Veränderungsprozess nötig ist, damit das überhaupt gelingen kann. Man muss erst in der eigenen Organisation den Wandel schaffen, um dann entsprechende Modelle bauen und nach außen hin entsprechend auftreten zu können. Wir haben mit den Vorständen, mit Führungskräften, aber auch mit den Leuten am Band gearbeitet, in Projekten mit harten und weichen Inhalten, in Großveranstaltungen, in Sounding boards. Über Feedbackschleifen, über Dialoge, auch über paradoxe Interventionen wurde es möglich, diesen Emanzipationsprozess vom VW-Konzern zu begleiten, aber auch die Zukunftsvisionen zu formulieren und dann konsequent den Weg zu gehen.

Das war nicht ein Markenbildungsprozess, sondern eher ein Identitätsentwicklungs-Prozess des ganzen Unternehmens?

So kann man es sagen. Das andere Beispiel ist der Standort Deutschland Boehringer Ingelheim, das ist ein international agierendes erfolgreiches Familienunternehmen, wo es darum geht, den Standort Chemie zu sichern und sich im internationalen Wettbewerb, aber auch im eigenen Unternehmen zu behaupten. Es geht darum zu schauen, wie sie sich verbessern müssen, damit die Produktion nicht wie von vielen anderen nach Indien, China usw. verlagert werden muss. Das Know-how soll hier generiert werden, die Lösung selbst gefunden werden. Dabei muss man auf die Kosten schauen, die Strukturen optimieren und die Kultur verändern - sie gleichzeitig aber auch bewahren, weil viele Elemente der Kultur dort erhaltenswürdig und wunderschön sind. Sie ist stark von Werten geprägt. Weil es ein Familienunternehmen ist, ist es nicht so quartalsgetrieben wie börsennotierte Unternehmen. Ziel ist dort, in einem zwölfmonatigen gemeinsamen Projekt im Dreieck Struktur, Strategie und Kultur mit den Betroffenen zu arbeiten. Wir sprechen hier von „Komplementärberatung”, d. h. diese anspruchsvollen Themen wie Struktur- und Prozessoptimierung, aber auch mentale Haltungen mit den Betroffenen gemeinsam zu bearbeiten.

Zum Stichwort „Komplementärberatung”, das ist ja die Verbindung von Fachberatung und Prozessberatung [2] , was heißt das konkret?

Konkret heißt das, die Hard- und die Softthemen zu integrieren. Für die Kunden ist der Vorteil, dass sie sich mit den Beratern Businesspartner und Prozessbegleiter holen. Wir sind im Beraterteam schon komplementär gemischt, d. h. da sind Leute, die über systemisches Prozess-Know-how verfügen und Fachleute, die Planungsprozesse, Optimierungen, Budgets, Kostenreduktionen usw. bearbeiten können. Im Staff wird reflektiert und überlegt, wo man den Hebel ansetzen sollte. Da gibt es oft heftige Diskussionen, wenn die Prozessleute sagen, der Kunde solle das so weit wie möglich selbst entwickeln, und die anderen auf dem Standpunkt stehen, dass wir auch kompensatorisch agieren müssen, d. h. unser Wissen klar mit einbringen müssen. Das ist neu für uns, denn früher war diese fachliche Seite nicht dabei.

Mit wie vielen Menschen arbeiten Sie in so einem Großprojekt?

Bei Boehringer Ingelheim sind das zwölf Personen.

Das ist ja allein ein riesiger Koordinationsaufwand, nicht?

Ja, wir haben regelmäßige Staff-Sitzungen, dass ist nötig, um interne Koordination zu gewährleisten, und dann gibt es eine klare Projektstruktur mit Projektleitern, Subprojektleitern und Stellvertretern - eben eine richtige Projektorganisation.

Man spricht ja immer so in „Beratertagen” - was ist in Ihrem Umfeld eine typische Dosis an „Beratertagen” im Jahr? Wie viele Tage sind die Leute im Netzwerk ungefähr unterwegs?

Minimum 80. Die meisten arbeiten zwischen 150 und 200 Tagen vor Ort, und dann kommt auch noch die Vorbereitung und Reisezeit dazu.

Was sind an diesem Job die anstrengenden Aspekte? Was sind die Aspekte, die das Leben angenehm und leicht machen und Kraft geben?

Für mich persönlich ist das anstrengendste das Reisen, das Nomadentum. Wir müssen ja zu den Firmen fahren und eine sehr komplexe Reiselogistik bewältigen. Ich schlafe wahrscheinlich mehr Tage nicht im eigenen Bett zu Hause, das ist eine große Belastung, auch für den Partner. Die positive Kehrseite ist natürlich, dass man sich die Zeit einteilen kann, dass man verlängerte Wochenenden und Urlaube machen kann und kein tägliches Joch der Arbeit hat. Aber trotzdem, die Reiserei, die Flugzeuge, versäumte Anschlussmaschinen … Ich habe Gott sei Dank die Fähigkeit, dass ich mich sehr gut konzentrieren kann, egal in welchem Umfeld. Ich habe immer einen Koffer mit, das ist mein „Wartezeit-Koffer”. Da sind Dinge drin, auf die ich mich dann freue: etwas zu lesen, was ich sonst nicht lesen kann, oder einen Brief zu schreiben oder ein Konzept zu machen, wo ich Ruhe brauche und wo kein Telefon möglich ist. Ich habe gelernt, die Wartezeiten als sehr nutzbringende Zeiten zu verwenden. Aber dieses Nicht-zu-Hause-Sein, immer auf Wanderschaft sein, das ist schon schwierig.

Gibt es noch mehr Belastendes?

Da kommt ganz lange nichts und dann kommt die Komplexität der Projekte mit sehr viel Verantwortung, großen Budgets - das sind teilweise Jahresbudgets von 1,5 Millionen Euro aufwärts - das muss sehr sorgfältig verwaltet und eingesetzt werden. Und dann die Verantwortung: „Was bringt es dem Unternehmen?” - und das verbunden mit unserem Ansatz, der die Leute nicht nur füttert, sondern sie lehrt, „ihre Fische selbst zu fangen”, statt die Fische zu fischen. Da muss man Verunsicherungen der Kunden aushalten und geduldig dem Druck standhalten.

Man muss auch ein Stück Frustrationsdruck aushalten?

Genau. Man muss Verunsicherungen zumuten. Sicherheit entsteht vor allem über das Vertrauen in den Ansatz, in die Menschen, aber es ist ein großer Druck.

Wir haben mal versucht, uns in Sie hineinzuversetzen und haben uns überlegt, was wir da anstrengend fänden. Ein Gedanke war der, dass solche Umstrukturierungsprozesse - zumindest in einer Situation, in der die Konjunktur schlecht ist - wahrscheinlich für viele Mitarbeiter auch mit Verschlechterungen verbunden sind; mit Entlassungen, Outplacement oder Funktionsverlusten. Wie wird das denn in Ihrer Gruppe erlebt, verarbeitet oder damit umgegangen?

Das ist ein sehr guter Punkt. Ich persönlich denke, dass wir mit Widersprüchen umgehen müssen: Wenn ein Unternehmen nicht von der Bildfläche verschwinden soll und dem globalen Wettbewerbsdruck standhalten will, muss es auch Sparprogramme fahren, sprich auch Arbeitsplätze abbauen und Produktionsstätten ins Ausland verlagern. Mir ist wichtig, diese Thematik nicht nur als Leid für den Einzelnen zu verstehen, sondern als Logik der Wirtschaft und auch der Gesellschaft, die wir selber mitstricken. Leute regen sich darüber auf, gehen dann in die Bank und kaufen eine Aktie mit der Maßgabe: „Ich möchte für meine Pension die höchste Rendite.” Das sind Aktien, wo dann genau das passiert, worunter sie als Arbeitnehmer leiden. Ich finde sehr zentral, mit einzubeziehen, dass wir nicht nur Opfer sind, sondern selbst auch Akteure. Wir richten den Blick auf diese Grundparadoxien in Organisationen - das entlastet auch die Menschen, die betroffen sind.

Das zweite ist, dass wir nicht irgendwelche Outplacement-Modelle nutzen, sondern differenzierter und anspruchsvoller mit dieser Thematik umgehen. Wir haben dafür auch mal einen ersten Preis bekommen für das Thema „Innovative Konzepte in der Personalarbeit”. Wir besprechen das Abbauthema mit den Leuten gemeinsam, finden Formen, wie das für den Einzelnen, für die Organisation, auch für die, die es nicht betrifft, angepackt werden könnte. Daraus haben sich schon Initiativen entwickelt, die phänomenal sind. Zum Beispiel in Norddeutschland: Austausch zwischen Organisationen, wie man mit Personalabbau umgehen kann, Gründung von Netzwerken usw. Das sind Aktivitäten, die auch ins Gesellschaftliche hineingehen.

In der Tiefenpsychologie gibt es das Konzept des Containments, dass man die heftigen Gefühle in einem sozialen System als Berater aufnimmt. Ist das für Sie ein Thema?

Ja, natürlich. Wir nennen es Resonanz. Da ist im Staff immer wieder irgendein Konflikt, Traurigkeit oder eine Euphorie, wo wir reflektieren: Moment, was ist da jetzt unsere Resonanz von dem, was sich im System abspielt? Und das wird dann miteinander reflektiert und besprochen. Das ist für mich persönlich überhaupt die größte Unterstützung: in einem Kreis von Menschen, die ich schätze nachzudenken: Was tun wir eigentlich, was löst das bei uns aus und wie können wir das wieder dem Klientensystem zur Verfügung stellen?

In den tiefenpsychologischen, aber auch gruppendynamischen, systemischen Ansätzen hat ja Selbsterfahrung - also im Therapiebereich eine eigene Therapie gemacht zu haben - einen großen Wert.

Ja, das habe ich selber auch gemacht.

Möchten Sie zu Ihrem Selbsterfahrungshintergrund etwas erzählen?

Ich habe eine klassische freudianische Psychoanalyse gemacht, vier Jahre lang. Auf der Couch liegen, mein Unbewusstes bewusst machen, hat mir sehr viel gebracht. Ich habe auch eine Psychodramaausbildung gemacht, Gruppendynamik und Familienaufstellungen. Es ist ein breites Spektrum und für mich persönlich ist es ganz wichtig, diese Konzepte zu integrieren.

Wenn Sie Finanzmanager oder Marketingleute beraten - welche Selbsterfahrungsweisen bieten Sie denen an?

Ende des Jahres findet beispielsweise ein Top-Management-Qualifizierungsprogramm zum Thema „Systemische Interventionen” statt. Da nehmen wir wirklich Leute der ersten Ebene, die selbst Auftraggeber sind, die aber auch verstehen wollen, wie wir in ihrem Unternehmen intervenieren. Die machen dann gruppendynamische Erfahrungen, es gibt Feedback, wie sie als Menschen wirken, welche Stärken und Schwächen an ihnen wahrgenommen werden, was sie auslösen. Das ist schon eine massive Konfrontation mit der eigenen Person.

Wie gehen Betriebswirte und Ingenieure damit um?

Das ist anfangs sehr fremd für sie. Wir öffnen dieses Feld ganz langsam und sorgfältig. Ausgehend von den Arbeitskontexten, von Projekten, wo es um Ergebnisse geht und um harte Zahlen usw., fragen wir: „Was waren die Faktoren, die etwas blockiert haben, wo war etwas gut, was müssen wir weiter so machen?” So kommen wir implizit auf das Thema Muster des Systems oder auf eigene Anteile von jedem Einzelnen. Wenn man es so angeht, verläuft die Lernkurve erstaunlich steil.

Das heißt, Sie leiten alles aus den Businesserfordernissen ab?

Ja. Alles andere wird als Esoterik und „nichts für mich” abgetan.

Sie werden ja meistens von der Konzernleitung oder leitungsnahen Gruppen angefragt. Ich stelle mir vor, viele vermuten dann, Sie sind sozusagen die Verbündete von „denen dort oben”.

Das ist zwar nicht so, aber die Vermutung gibt es natürlich immer wieder.

Wo nimmt man Sie als Verbündete, wo als Gegner wahr und wie erleben Sie sich da selbst?

Identität lebt ja immer vom Vergleich. Wir haben ja auch von McKinsey und Boston Consulting usw. Kooperationsanfragen bekommen, haben teilweise gemeinsame Projekte gemacht. Daher weiß ich, dass wir uns im Unterschied zu ihnen nicht als „Handlanger der Mächtigen” definieren. Wir arbeiten nicht nur mit dem Top-Management und vollstrecken, was für die wichtig ist, sondern definieren uns als Berater des Gesamtsystems und da gehören natürlich auch die unteren Ebenen dazu. Wir arbeiten auch mit Leuten am Band oder in den Produktionsstätten, um zwischen oben und unten als Brücke zu wirken. Wir definieren uns auch als Übersetzer. Die Frage ist, wie kann das gesamte System mit seinen Unterschieden und Widersprüchen am besten navigieren.

Und es gelingt, dass die Stimmen der Bandarbeiter, die befürchten müssen, dass nachher 20 Stellen wegfallen, in den Prozess hineinkommen und etwas mit beeinflussen?

Ja, das gelingt. Z. B. bei Schering gab es eine solche Situation. Da arbeiteten wir mit den Betroffenen und sagten: „Das ist die Wettbewerbslandschaft, so wird die Zukunft ausschauen, was heißt das für das Werk?” Und es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie Leute, die selber betroffen sind, bei aller Dramatik trotzdem sagen: „Im Grunde müssten wir uns verkleinern, redimensionieren, sonst werden wir in fünf Jahren alle nicht mehr da sein.”

Das heißt, Sie helfen dann den Beteiligten, in eine Selbstbeobachtungsposition zu gehen und zu gucken, was hat eine Maßnahme für einen Sinn für das Ganze?

Ja.

Es gibt ja im narrativen Ansatz das „Konzept der herrschenden und der unterdrückten Stimmen”. In allen sozialen Systemen gibt es immer bestimmte Geschichten, die eine Wahrscheinlichkeit haben, zu dem im System herrschenden Diskurs zu werden, und andere, die es über diese Schwelle hinweg nicht schaffen. Erleben Sie das auch in Ihren Beratungen als Thema?

Ja, wir versuchen das über Interventionen hereinzuholen, etwa über das Konzept der „abwesenden Anwesenden”, mit Rollenspielen. Oder man fragt, wenn ein Vorschlag ausgearbeitet ist: „Wer sind die relevanten Umwelten für dieses Ergebnis?” Und dann werden diese Stimmen in direkter fantasierter Wortmeldung hereingebracht. Oder wir gehen in Teams von „jungen Wilden” auf die Suche nach Storys, Geheimnissen, die dann kollektiv verarbeitet werden.

Ein anderes Thema: Ich höre immer wieder Coaches, die sagen „da hatte ich mit Führungskräften zu tun, das waren Borderliner”, oder „das war ein ängstlich-unsicher Vermeidender”. Kernaussage also: „Das System funktioniert eigentlich gut, aber da ist eine Person an dieser Stelle, die so mit der Art, wie sie ist und wie sie das macht, die Sachen behindert oder erschwert.”

Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Die Führungskraft ist ein Normsetzer und jemand, der Metaentscheidungen trifft, also ist es auch für die Strukturentscheidungen und für die Kultur nicht unbedeutend, welcher Typ an welcher Stelle sitzt. Trotzdem fragen wir uns immer wieder: „Wenn man den entfernt, wächst dann eine ähnliche Pflanze nach, weil der Boden entsprechend ist? Wie kann man den Boden bearbeiten?”

Kennen Sie bei sich eine Beschreibung wie: „Mensch, der sitzt auf der falschen Stelle, der verfügt einfach nicht über die Qualitäten einer Führungskraft und es würde der Firma besser bekommen, wenn da jemand anderes säße?”

Natürlich. Das passiert oft, dass man sagt „der ist schwach” oder „das ist der Falsche”. Aber im Staff sagen wir: „Das muss eine Funktionalität haben, warum gerade der und was bringt das dem System? Und was wäre, wenn da ein anderer säße? Würden dann nicht ganz schnell wieder dieselben Verhaltensmuster reproduziert?” Wichtig ist die Reflexion, was sich im System verändern muss, damit der, den wir zunächst kritisch betrachten, auch eine Chance hat, ein anderes Verhalten zu zeigen.

Sie gehen sehr bewusst mit der Einladung um, immer wieder in individualistische Beschreibungen zu verfallen?

Absolut. Das ist im Grunde sehr verpönt bei uns. Natürlich passiert es, aber irgendwer in der Runde sagt dann: „Halt, das ist ein zu enger Blick.”

Ein Thema, das die Tiefenpsychologie in die Diskussion mit einbringt, ist das Thema „Angst in Organisationen” - gerade in Veränderungsprozessen gibt es sowohl im Top-Management als auch beim einzelnen Mitarbeiter Verlustängste, Ängste, den Vorgaben nicht gewachsen zu sein usw. Wie gehen Sie mit dem Thema um?

Das Konzept der Angst hat für mich eine riesengroße Relevanz und das vermisse ich auch im systemischen Ansatz. Ich finde, dass man damit sehr viel erklären kann, weil das auch Energie ist. Für mich ist es nicht so, dass wenn Angst und Widerstand auftreten, man etwas falsch gemacht haben muss, wie viele Systemiker behaupten. Vielmehr ist das auch eine anthropologische Größe: Wo Veränderung ist, gibt es Angst. Immer, auch bei positiven Veränderungen. Auch hier gilt für uns das anzuschauen und zu benennen: „Ist es eine Versagensangst? Was heißt das für mich, wie können wir damit umgehen?” Wir haben sogar Großveranstaltungen zum Thema Angst gemacht.

Können Sie ein Beispiel erzählen?

In einer ehemals staatlichen österreichischen Organisation, der erfolgreichen VOEST-Alpine, die reorganisiert werden musste, war sehr viel Angst da. Nicht einmal vor Arbeitsplatzabbau, nur vor massiven Veränderungen im Job und in der Rolle, vor Verlagerungen der Arbeitsfelder. Wir haben eine Vorbereitungsgruppe zusammengestellt und wie immer sehr persönlich begonnen. Jeden der Teilnehmer leiten wir z. B. an, von drei Situationen in seinem Leben zu erzählen, in denen er richtig Angst hatte. Was hat dabei geholfen? Und das erzählt dann jeder im Kreis, eine halbe bis dreiviertel Stunde lang, zehn Menschen. Und dann fragen wir: „Was ist der rote Faden? Was hat euch geholfen?” Da kommen ähnliche Dinge raus: Entlastung, indem man mit jemanden darüber spricht oder präventiv denken usw. Dann fragen wir, was das für die Organisation heißt: Was müssten wir machen, wenn wir als Gruppe der gesamten Organisation eine sinnvolle Unterstützung geben wollen? Da werden ganz tolle Ideen geboren, unter anderem die Idee einer Großveranstaltung. Dort wurden dann ein Theaterstück aufgeführt und Dialoge über Ängste geführt. Man konnte dann richtig spüren, wie sich die Angst reduziert hat.

Sie haben ja eine lange Beratungserfahrung. Was sind typische anstrengende Situationen und wie sind Sie durch die hindurchgegangen? Wie hat sich Ihr eigenes Coping über die Zeit entwickelt?

Also für mich persönlich sind das Wichtigste Menschen. Mein Mann, meine Familie, meine jetzt erwachsenen Kinder, mit denen ich über diese Themen sprechen kann. Als ich vor sechs Jahren von der Beratergruppe Neuwaldegg weggegangen bin, war das eine Krise in meinem Leben. Da brauchte es das Gefühl, verstanden und getragen zu werden, egal was passiert: Ich bin hier erwünscht und akzeptiert. Und Hand in Hand damit sind es auch die Freunde oder Freundinnen. Da gibt es zwar nur eine Handvoll, aber zu wissen, da rufe ich an, wenn es mir schlecht geht, da fahre ich hin und da rede ich und wir überlegen gemeinsam - das ist sehr wertvoll für mich.

Wie haben Sie es geschafft, bei 150 oder 200 Beratertagen den Freundeskreis zu pflegen?

Das habe ich nie vernachlässigt und nie verloren. Ich merke das bei vielen Top-Managern, diese Heimatlosigkeit, dieses Isoliert-Sein, ich finde das schrecklich. Wie Einzelhaft. Ich brauche nahe Beziehungen dringend und habe sie immer gepflegt. Es ist jetzt auch in meiner Firma so, dass wir 25, 30 Tage pro Jahr gemeinsam verbringen, die wir für interne Entwicklungen, strategische Überlegungen, Geschäftsführerthemen, für Reflexionen nutzen. Das gibt ein Heimatgefühl, wo man getragen ist, wo man jammern darf und sich Kraft holt. Jenseits dieser Beziehungsdimension spielt die Ausbildung, die ich gemacht habe, eine Rolle: Ich weiß, es wird auch wieder besser. Die Gelassenheit zu haben und zu wissen: „Probleme werden auch wieder gelöst. Es ist eine Phase.”

Für die Leser, die sich im Grenzbereich Psychotherapie und Organisationsberatung bewegen oder vielleicht gerade damit beginnen, hier zu experimentieren - was würden Sie sagen, was waren Ihre wichtigsten Lernprozesse, die Sie selber gemacht haben?

Das sind wichtige Begegnungen mit wichtigen Lehrern und Menschen. Eine solche Begegnung war die mit Traugott Lindner, der mich überhaupt in dieses Feld gebracht hat. Oder später dann Siggi Hirsch, mit dem wir eine zweijährige Ausbildung für uns selbst organisiert haben, ein systemischer Familientherapeut, der virtuos in Interventionen auf der Mikroebene agiert. Wir haben das dann übersetzt auf komplexere Prozesse. Wir haben viel für uns selbst organisiert, spannende Menschen eingeladen und gesagt: „Zeigt uns, wie ihr arbeitet, lasst uns unsere Konzepte diskutieren!”

Gibt es zentrale Maximen in der Vorgehensweise, wenn Sie Organisationsberatungen beginnen?

Für uns ist auf jeden Fall eine sorgfältige Diagnose wichtig, die vielen Kriterien entsprechen muss. Auch wenn es eine kurze, „hemdsärmelige” ist. Es geht darum, die latenten Themen zu orten, die Hypothesen zu bilden, zu hinterfragen, Sprachanalysen über Textstellen zu machen und so weiter. Eine sorgfältige Diagnose, die impliziert, wie die Beziehung zwischen Klient und Beratersystem aussieht, was sich da in dem Interaktionsraum tut, worauf wir aufpassen müssen, wenn wir in diese Beratung gehen. In der Psychoanalyse würde man „Übertragung” sagen. Da ist es wichtig, sehr sorgfältig hinzuschauen, weil die „Melodie” dieses Projektes am Anfang angeschlagen wird und sich fortsetzt. Da sollte man keine Fehler machen oder zumindest sorgfältig sein. Der Anfang ist sehr, sehr wichtig!

Gibt es auch Aufträge, die Sie ablehnen?

Ja, die gibt es. Ich erinnere mich, in einem Interview mit einem Auftraggeber kam so eine unglaubliche Verachtung Menschen gegenüber zutage, dass mir fast schlecht geworden ist. Er sagte z. B.: „Wissen Sie, das Erste, was ich mache, wenn ich in eine neue Organisation komme, ist, dass ich mal drei Leute raushaue. Dann merken die, sie müssen Angst haben und bei mir muss man parieren.” Diese Grundhaltung der Abwertung war so, dass ich gesagt habe, mit dem Menschen, der dann diese Organisation auch mitprägt, kann ich nicht arbeiten. Wir haben auch sehr diskutiert, ob wir in Rüstungsindustrien arbeiten, weil wir mit indirekter Rüstungsindustrie zu tun hatten. Da gab es in unseren Reihen heftigste Diskussionen: Was ist ethisch und unethisch, wann hat man eine weiße Weste und wann nicht? Das war für mich persönlich sehr wertvoll, weil ich hier toleranter geworden bin. Die Grenzziehung „Zulieferer ja, Rüstung nein” ist eigentlich eine Augenauswischerei. Ist es wirklich immer nur ein Tötungsinstrument oder geht es auch um Verteidigung? Wenn man da differenziert hinschaut, was ist schädlicher: Umweltverschmutzung in der chemischen Industrie oder … usw. Da habe ich gespürt, es ist auch oft ein Alibi zu sagen: „Ich bin gut, ich arbeite dort nicht.” Es geht eigentlich um Bewusstheit, Zusammenhänge wirklich zu durchdringen, das Für und Wider anzuschauen und dann zu sagen „Mache ich es oder mache ich es nicht?” Nicht Etiketten zu benutzen, weil das im Grunde nur eine Ausrede ist, nicht zu reflektieren.

Wenn Ihnen von Mitarbeiterseite Feindseligkeit entgegenschlägt und Sie trotzdem beauftragt werden - wäre das ein Grund für Sie zu sagen: „Das mache ich nicht.”?

Nein, das wäre kein Grund etwas abzulehnen. Denn das muss man ja verstehen, dass das sein kann. Meistens legt sich das, wenn klar ist, was unsere Rolle und unsere Methode ausmacht. Am Anfang wird man oft in ein Klischee gepresst, dass Veränderung immer mit Arbeitsplatzabbau zu tun hat und dass Berater nur für die „Herrschenden” denken. Das ist am Anfang oft zu spüren, insbesondere wenn man nach McKinsey usw., die Blutspuren hinterlassen, arbeitet. Aber wir werden dann ja auch oft eher als die Retter, die „Guten” gesehen.

Sie sind sozusagen „das Rote Kreuz”, das nach der Schlacht kommt? Wenn ein guter Kollege, der Sie vor 20 Jahren gekannt hat, Sie heute wieder trifft - was würde er uns erzählen, wie hat sich Frau Königswieser nach 20 Jahren Organisationsberatung verändert?

Ich arbeite gerade diese Woche mit einem Kollegen, der mich seit 20 Jahren kennt, Professor Jürgen Pelikan. Den habe ich zwar nicht gefragt, aber der würde sagen, dass ich mir mehr Komplexität zutraue. Vor 20 Jahren hätte ich bei vielen Aufträgen fürchterlich gezittert und gebebt. Er würde auch sagen, dass ich gelassener geworden bin und bescheidener, im Sinne von „was ist machbar”. Also der Größenwahn ist kleiner, ich habe ihn immer noch, vielleicht muss man den auch haben, um sich solch eine Arbeit zuzutrauen. Aber die Balance - zwischen dem Größenwahn, es ist immer mehr machbar als man denkt, und auf der anderen Seite zu wissen, was man wirklich bewirken kann, mit keinen Wundern zu rechnen - das ist die Kunst. Vielleicht würde er auch sagen, dass ich jetzt mit Paradoxien und Widersprüchen anders umgehen kann. Das hoffe ich jedenfalls.

Inwiefern?

Es geht um Elastizität. Nicht mehr die Illusion zu haben, man könnte sie auflösen oder tollere Lösungen zu finden, sondern was geht, das geht, und was nicht geht, geht nicht. Und beides ist wichtig.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

1 http://www.koenigswieser.net/

2 Königswieser R, Sonuc E, Gebhardt J. Komplementärberatung. Das Zusammenspiel von Fach- und Prozess-Know-how. Stuttgart: Klett, 2006.