Psychother Psychosom Med Psychol 2007; 57 - A048
DOI: 10.1055/s-2007-970667

Posttraumatische Symptome, Dissoziation und Psychopathologie als Spätfolge von Kindheiten im II. Weltkrieg

P Kuwert 1, C Spitzer 1, A Träder 1, HJ Freyberger 1, M Ermann 2
  • 1Klinik für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie der EMA Universität Greifswald, Stralsund
  • 2Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LMU, München

Fragestellung: Die langfristigen Auswirkungen kriegsassoziierter Traumatisierungen während der Kindheit auf die psychische Gesundheit im späteren Lebensalter haben klinisch und wissenschaftlich bislang wenig Beachtung gefunden. Die vorliegende Studie untersuchte 93 Probanden, die ihre Kindheit während des II. Weltkrieges verbrachten, im Hinblick auf posttraumatische Symptomatik, Dissoziation und aktuelle Psychopathologie.

Methode: Über die regionale Presse wurden Teilnehmer gesucht, die zwischen 1933 und 1945 geboren wurden. Stattgehabte Traumatisierung war ausdrücklich kein Einschlusskriterium. Die Probanden erhielten einen modifizierten Traumafragebogen (PDS), den Fragebogen zu Dissoziativen Symptomen (FDS) und den SCL 90-R zur Evaluation von PTBS-Symptomen, dissoziativen Phänomenen und aktueller Psychopathologie. Die quantitativen Instrumente wurden mit der Erhebung schriftlicher Traumanarrative qualitativ ergänzt.

Ergebnisse: Noch sechs Jahrzehnte nach Kriegsende ließen sich bei jedem zehnten Probanden posttraumatische Symptome mit dem Schweregrad einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nachweisen. Die Narrative ließen sich thematisch in die Kategorien Frontkontakt, Traumata durch Besatzungssoldaten, Flucht/Vertreibung, Tod von Angehörigen, Hunger, Trennung von der Familie, Miterleben von NS-Verfolgung und sonstige Erlebnisse einteilen, wobei die ersten drei genannten Traumata am häufigsten berichtet wurden. Zusätzlich bestand eine signifikante dissoziative Symptomatik und psychopathologische Symptombelastung bei den Probanden, die unter kriegsassoziierten posttraumatischen Symptomen litten.

Diskussion: Die Ergebnisse unterstreichen den dringenden Bedarf nach weiterer Forschung für den Bereich kriegsassoziierter Traumafolgen. Die diagnostische und therapeutische Relevanz von kriegsassoziierten Spätfolgen wird diskutiert und klinische Empfehlungen für die psychotherapeutische Behandlungspraxis gegeben.

Kriegskindheit - PTBS - Kriegstrauma - Flucht - Vertreibung - Psychopathologie