Zeitschrift für Phytotherapie 2006; 27(6): 288-290
DOI: 10.1055/s-2007-967724
Praxis
Kasuistik
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Behandlung fötider Tumorulzerationen mit ätherischen Ölen (KIELMIX®) in der Palliativmedizin

Stephan T. Becker1 , Eugene Sherry3 , Sureshan Sivananthan4 , Harald Essig1 , Jörg Wiltfang1 , Ingo N. Springer1 , Joachim Bredée2 , Patrick H. Warnke1 , 3
  • 1Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel
  • 2Klinik für Strahlentherapie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel
  • 3Faculty of Health Sciences and Medicine, Bond University, Gold Coast, QL, Australia
  • 4Department of Orthopaedic Surgery, Robert Jones and Agnes Hunt Orthopaedic Hospital, Oswestry, UK
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Publication History

Publication Date:
15 January 2007 (online)

Geruchsbelästigung führt zu erheblichen Problemen für Patienten, Angehörige und Behandler im Krankheitsverlauf von inoperablen Tumoren der äußeren Haut und der Schleimhäute. Dieser Geruch bedingt allgemein die soziale Isolation für den Patienten und erfordert oft bei stationären Aufenthalten die Unterbringung im Einzelzimmer. Dies wiederum führt zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität und kostenintensivem pflegerischen Mehraufwand.

Der Geruch entsteht durch Eiweißzerfallsprozesse bei bakteriellen Superinfektionen der ulzerierten und abwehrgeschwächten Gewebe. Oft treten purulente Nekrosen auf [3]. Im Wesentlichen bestimmen Anaerobier die Flora bei fötiden Ulzerationen. Standardmäßig werden systemisch Antibiotika verabreicht, die aber oft den Wirkort nur schwer erreichen und nicht suffizient wirken, besonders in Bezug auf die Reduktion der Geruchsentwicklung. Zusätzlich werden zumeist lokale Desinfektionsmaßnahmen wie Spülungen mit Polyvidon-Jod (Betaisodona®) durchgeführt.

In Australien werden ätherische Öle häufig äußerlich zur Behandlung oberflächlicher Verletzungen der Haut und diabetischer Füße mit fötiden Infektionen [9] eingesetzt. Sie haben antibakterielle, fungizide [4], und antiinflammatorische [11] Eigenschaften. Die antibakterielle Aktivität konnte in vitro [1] und in vivo [7] [8] demonstriert werden. Selbst die erfolgreiche Behandlung chronischer Infektionen mit MRSA durch den Einsatz von ätherischen Ölen wird beschrieben [2] [7]. Andere Autoren berichten über anästhesierende Wirkungen der ätherischen Öle durch Beeinflussung der Schmerzfasern [6].

Unter Berücksichtigung der antimikrobiellen Wirkungen, der Toxizität auf Zellkulturen und einer angenehmen Geruchsnote wurde eine Komposition von ätherischen Ölen zusammengestellt, die vom Hersteller als KIELMIX® bezeichnet wurde. KIELMIX® ist eine Mischung folgender natürlicher Öle auf Ethanolbasis: Eucalyptusöl, Teebaumöl, Lemongrasöl, Nelkenöl, Zitronenöl, Thymianöl (KM-PT 70, australische Zulassung: Therapeutic Goods Administration TGA, Hersteller: Felton Grimwade & Bickford PTY LTD, Oakleigh South 3167, Victoria, Australia, mail@fgb.com.au). Über die quantitative Zusammensetzung informiert [Kasten 1]. Zusätzlich wurden möglicherweise allergieauslösende Bestandteile wie Cineole reduziert und durch Laboranalysen sichergestellt, dass sie unterhalb des erlassenen Mindestwertes gemäß TGA liegen.

Kaasten 1

In hauseigenen Hemmhoftests zur Beurteilung der antimikrobiellen Wirksamkeit konnte eine bessere Effektivität von KIELMIX® gegenüber standardisierter Testflora im Vergleich zu Betaisodona® oder 70 % Ethanol festgestellt werden (nicht publizierte Ergebnisse). Diese Mischung wurde im folgenden klinischen Fall erfolgreich angewendet.

Kasuistik

Ein 72-jähriger Patient mit großem verjauchenden Rezidiv eines Plattenepithelkarzinoms der linken Schläfe [Abb. 1] war aufgrund der unerträglichen Geruchsbildung von seinen Angehörigen vorgestellt worden. Das Karzinom war ein Jahr zuvor inklusive einer Ausräumung der Halslymphknoten operiert und postoperativ bestrahlt worden. Eine weitere strahlentherapeutische Option war nicht mehr gegeben und das Rezidiv war inzwischen inoperabel. Die systemische Gabe von Clindamycin hatte zu keiner suffizienten Besserung geführt, sodass die Angehörigen um eine stationäre Aufnahme baten. Eine frühere Vorstellung hatte der Patient abgelehnt. Das Tumorgewebe war purulent belegt und am Randwall deutlich gerötet.

Abb. 1: Lokaler Befund: exulzerierend wachsender Tumor mit fötider Geruchsbildung

Wir begannen unter stationären Bedingungen die lokale Behandlung mit KIELMIX®. Ergänzend wurde zunächst eine Antibiose (2u600 mg Clindamycin) verabreicht und dann bei erreichter Geruchsfreiheit nach acht Tagen abgesetzt. Die ätherischen Öle ersetzten die lokal desinfizierende Betaisodonaspülung. Dreimal täglich wurde eine Menge von 3 ml direkt auf das ulzerierte Gewebe gesprüht. Bereits nach der ersten Anwendung trat eine deutliche Geruchsverbesserung ein. Nach zwei Tagen wurde der Patient vollständig geruchsfrei und die vorherige geruchsbedingte Isolation konnte aufgehoben werden. Der Patient wurde auf seinen Wunsch in ein Doppelzimmer verlegt. Hier waren soziale Kontakte zu Mitpatienten möglich. Besuche durch Angehörige wurden wieder uneingeschränkt möglich und die Lebensqualität des Patienten stieg beträchtlich.

Nach acht Tagen konnte er in die wöchentliche ambulante Weiterbehandlung entlassen werden. Das Öl wurde täglich problemlos von den Angehörigen selbst aufgetragen und es trat keine erneute Geruchsbelästigung auf. Die einfache Sprayanwendung der Öle entlastete den Patienten von täglichen Fahrten in die ambulante Behandlung. Auch die Angehörigen verspürten eine psychologische Entlastung, da sie nicht nur beim Sterben tatenlos »zuschauten«, sondern aktiv einen Teil zur Linderung des Leidens beitragen konnten. Zu ihrer Freude waren längere Gespräche mit dem Patienten wieder möglich. Der Patient verstarb zuhause im Kreis seiner Familie.

Diskussion

Die Anwendung von ätherischen Ölen ist kostengünstig, einfach, wenig invasiv und ermöglicht inkurablen Tumorpatienten in der letzten Phase ihres Lebens gute Bewegungsfreiheit ohne Isolation. Viele Tumorpatienten interpretieren die Einzelzimmerisolation als »Abschieben ins Sterbezimmer«. Dieser wichtige psychologische Aspekt sollte in solchen Extremfällen besondere Berücksichtigung finden. Insgesamt konnte auch hier die Lebensqualität immens gesteigert werden [12]. Die Aufnahme sozialer Beziehungen war wieder möglich. Der Effekt der Geruchsverbesserung tritt sofort nach der ersten Anwendung auf, was wir uns mit einer Bindung der Geruchsstoffe durch die lipophilen Öle erklären.

Die Ergebnisse aus diesem Fall konnten auch in einem Patientenkollektiv von 35 Patienten beobachtet werden [10]. In einer Multi-Center-Studie ist es bei den Patienten zur völligen Geruchsfreiheit innerhalb der ersten Woche gekommen. Dabei wurden inkurable Patienten mit superinfizierten, fötiden Tumornekrosen mit der von uns ermittelten KIELMIX®-Ölkombination gespült. Vormals mit Anaerobierflora besiedelte Tumorulzerationen der Haut zeigten nach einwöchiger Behandlungsdauer mit den antibakteriellen ätherischen Ölen eine normale, nichtpathogene Flora. Durch die Geruchsfreiheit wurde die Lebensqualität der Patienten erheblich gesteigert und eine Einzelzimmerisolation der Patienten war nicht mehr notwendig. Insgesamt konnte eine deutliche Reduktion des Geruches festgestellt werden sowie eine Heilung von Geschwüren bis hin zur Reepithelialisierung [11]. In einzelnen Fällen kam es zum Verschluss kleinerer Ulzerationen [10].

In oben genannter Studie wird vereinzelt von brennenden Schmerzen in den ersten Sekunden nach Applikation berichtet, die jedoch innerhalb der ersten Minuten verschwanden. Verschlucken von ätherischen Ölen in größeren Mengen kann gemäß Angaben in der Literatur zu weitergehenden Beschwerden führen und sollte unbedingt unterlassen werden. Allergische Reaktionen haben wir nicht beobachtet, was vermutlich auf die vom Hersteller durchgeführte Reduktion der Allergene zurückgeführt werden kann. Damit ist KIELMIX® wahrscheinlich gewöhnlichen ätherischen Ölen, die z.B. über Reformhäuser vertrieben werden und bei denen Allergien beschrieben sind, überlegen [5].

Schlussfolgerung

Lokal angewendet zeigt KIELMIX® eine große Effektivität in der Verbesserung der Lebensqualität inoperabler Tumorpatienten. Aufgrund der dargestellten Erfahrung verwenden wir bei Geruchsbelästigung bei inoperablen Tumoren der äußeren Haut und der Schleimhäute eine systemische Antibiose (600 mg Clindamycin zweimal täglich) für 5-10 Tage und drei- bis fünfmal täglich die lokale Applikation von KIELMIX®.

Literatur

  • 1 Allen P. Tea tree oil: the science behind the antimicrobial hype.  Lancet. 2001;  358 1245
  • 2 Anderson JN, Fennessy PA. Can tea tree (Melaleuca alternifolia) oil prevent MRSA?.  Med J Aust. 2000;  173 489
  • 3 Haisfield-Wolfe ME, Rund C. Malignant cutaneous wounds: a management protocol.  Ostomy Wound Manage. 1997;  43 56
  • 4 Hammer KA, Carson CF, Riley TV. Melaleuca alternifolia (tea tree) oil inhibits germ tube formation by Candida albicans.  Med Mycol. 2000;  38 355-362
  • 5 Knight TE, Hausen BM. Melaleuca oil (tea tree oil) dermatitis.  J Am Acad Dermatol. 1994;  30 423-427
  • 6 Schilcher H, Kammerer S. Leitfaden Phytotherapie. München; Jena: Urban & Fischer 2000
  • 7 Sherry E, Boeck H, Warnke PH. Topical application of a new formulation of eucalyptus oil phytochemical clears methicillin-resistant Staphylococcus aureus infection.  Am J Infect Control. 2001;  29 346
  • 8 Sherry E, Reynolds M, Sivananthan S, Mainawalala S, Warnke PH. Inhalational phytochemicals as possible treatment for pulmonary tuberculosis: two case reports.  Am J Infect Control. 2004;  32 369-370
  • 9 Sherry E, Sivananthan S, Warnke PH, Eslick GD. Topical phytochemicals used to salvage the gangrenous lower limbs of type 1 diabetic patients.  Diabetes Res Clin Pract. 2003;  62 65-66
  • 10 Warnke PH, Sherry E, Russo PA, Acil Y. et al. . Antibacterial essential oils in malodorous cancer patients: Clinical observations in 30 patients.  Phytomedicine. 2006;  13 463-467
  • 11 Warnke PH, Sherry E, Russo PA, Sprengel M. et al. . Antibacterial essential oils reduce tumor smell and inflammation in cancer patients.  J Clin Oncol. 2005;  23 1588-1589
  • 12 Warnke PH, Terheyden H, Acil Y, Springer IN. et al. . Tumor smell reduction with antibacterial essential oils.  Cancer. 2004;  100 879-880

Dr. Dr. Stephan Thomas Becker

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Arnold-Heller-Str. 16

24105 Kiel

Email: becker@mkg.uni-kiel.de

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