Gastroenterologie up2date 2007; 3(3): 195-196
DOI: 10.1055/s-2007-966855
Klinisch-pathologische Konferenz

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patient mit multiplen viszeralen und kutanen Tumoren

Ungewöhnliche Manifestation eines Muir-Torre-SyndromsGabriela  Möslein
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Publication Date:
23 August 2007 (online)

Sicht des Chirurgen

In der vorliegenden hochinteressanten Falldarstellung wird auf die klinisch zu wenig beachtete Assoziation der sebazeischen Hauttumoren mit viszeralen Tumoren im Rahmen des Muir-Torre-Syndroms (MTS) eindrücklich aufmerksam gemacht. Besonders interessant ist der Aspekt, dass die Definition eines MTS von Muir und Torre aus dem Jahr 1967/68 nach Auffassung der Autoren zu „stringent” gewählt ist. Dieser Aufforderung zu einer höheren klinischen Awareness kann man sich nur anschließen. Akhtar et al. [1] stellten 1999 fest, dass bislang nur 205 Fälle mit einem Muir-Torre-Syndrom publiziert worden sind. Die sebazeischen Tumoren wurden in 22 % der Fälle nach Auftreten einer viszeralen Malignität festgestellt, bei 6 % der Fälle zeitgleich und bei 56 % erst nach einer malignen viszeralen Manifestation. Gastrointestinale Karzinome traten in 61 % der Fälle auf, gefolgt von 22 % im urogenitalen Bereich.

Genetik

Das Muir-Torre-Syndrom repräsentiert analog zu dem Gardner-Syndrom und dem Peutz-Jeghers-Syndrom ein weiteres Beispiel für eines der assoziativen Haut-Polyposis-Syndrome, für die vor allem Dermatologen und Gastroenterologen sowie Chirurgen klinisch sensibilisiert werden müssen. Der Muir-Torre-Phänotyp ist die Expression eines Lynch-Syndroms und wird molekulargenetisch in einem hohen Prozentsatz der Fälle mit Mutationen im MSH2-Gen auf Chromosom 2p und seltener im MLH1-Gen auf Chromosom 3p in Verbindung gebracht.

Gezielte Diagnostik bei Hauttumoren

Zunehmend wird von gastroenterologischer und chirurgischer Seite bei Auftreten von multiplen, viszeralen/urogenitalen und/oder Endometriumkarzinomen bei einer Person oder in einer Familie an das Vorhandensein eines Lynch-Syndroms gedacht. Der Blick der dermatologischen Kollegen auf das potenzielle Vorliegen eines hereditären Syndroms bei Beobachtung auch nur eines einzelnen sebazeischen Adenoms muss geschärft werden. Rothenberg et al. [2] publizierten 1990 zwei Fälle, bei denen kleinste solitäre sebazeische Adenome zu der Diagnose synchroner Kolonkarzinome führten. Aber auch das Auftreten von Keratoakanthomen und anderen Hauttumoren ohne sebazeische Ausprägung kann bei entsprechender Beachtung zielführend für die Diagnose eines Lynch-Syndroms sein.

Sebazeische Tumoren. Die bisher im Rahmen des Muir-Torre-Syndroms beschriebenen Neoplasmen der Haut stellen seltenere Formen dar, nämlich das sebazeische Adenom, das sebazeische Epitheliom, Basalzellepitheliom mit sebazeischer Differenzierung und das sebazeische Karzinom. Zumindest bei Auftreten dieser seltenen Diagnosen muss an die Möglichkeit der Ausprägung eines Lynch-Syndroms gedacht werden. Die Erhebung einer Familienanamnese wird - wie in der Literatur beschrieben - oft auf die vorhandene genetische Variante hinweisen. Eine Untersuchung der Proteinexpression der Mismatch-Reparaturgene MSH2 und MLH1 sollte konsequent erfolgen. Wie von Ponti et al. [3] 2005 gefordert und mit diesem interessanten Fall erneut dokumentiert, müssen die klinischen, immunhistochemischen und molekularbiologischen Charakteristika der sebazeischen Hautläsionen und Keratoakanthome im Rahmen des Screenings und der Identifizierung von Familien mit Lynch-Syndrom eingesetzt werden. Wegen der breiten phänotypischen Variabilität, die in der Literatur beschrieben ist, muss neben der gastrointestinalen auch die urogenitale Abklärung erfolgen - etwa 15 % der Frauen mit einem Muir-Torre-Syndrom entwickeln ein Endometriumkarzinom [4].

Prävention

Wie häufiger bei Lynch-Syndrom-Patienten wird bei dem hier beschriebenen Patienten der eher benigne Verlauf der Karzinome überdeutlich. Er überlebte 7 (!) oft aggressiv verlaufende Karzinome. Ziel bei Personen/Familien mit einem hereditären Syndrom muss immer der Blickwinkel einer Prävention sein. So ist die Frage in diesem Fall sicher nicht zu beantworten, inwieweit bei sorgfältiger dermatologischer Betrachtung eventuelle kleine Vorboten der Tumoren identifizierbar gewesen wären. Diese hätten zumindest theoretisch zu gezielten Screening-Untersuchungen bei dem beschriebenen Patienten veranlassen können.

Fazit. Um die klinische Awareness bei hereditären Syndromen zu schärfen, kann nicht oft genug betont werden, dass die Identifizierung einer einzelnen Indexperson potenziell den Schlüssel für die Identifizierung und Prävention zahlreicher Familienangehöriger darstellt. Hierbei spielt heute die Umsetzung der molekulargenetischen und pathologischen Diagnosemöglichkeiten - wie bei diesem interessanten Fall - eine Schlüsselrolle.

Literatur

  • 1 Akhtar S, Oza K K, Khan S A. et al . Muir-Torre syndrome: case report of a patient with concurrent jejunal and ureteral cancer and a review of the literature.  Am Acad Derm. 1999;  41 681-686
  • 2 Rothenberg J, Lambert W C, Vail Jr J T. et al . The Muir-Torre (Torre’s) syndrome: the significance of a solitary sebaceous tumor.  J Am Acad Derm. 1990;  23 638-640
  • 3 Ponti G, Losi L, Di Gregorio C. et al . Identification of Muir-Torre syndrome among patients with sebaceous tumors and keratoacanthomas: role of clinical features, microsatellite instability, and immunohistochemistry.  Cancer. 2005;  103 1018-1025
  • 4 Cohen P R, Kohn S R, Kurzrock R. Association of sebaceous gland tumors and internal malignancy: the Muir-Torre syndrome.  Am J Med. 1991;  90 606-613

Prof. Dr. med. Gabriela Möslein

Chefärztin Allgemein- und Viszeralchirurgie, Koloproktologie
St. Josefs-Hospital Bochum-Linden

Axstraße 35
44879 Bochum

Email: gabriela.moeslein@helios-kliniken.de

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