Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39(5): 369-370
DOI: 10.1055/s-2007-965797
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief zur Arbeit von G. Maio: Ist die ästhetische Chirurgie überhaupt noch Medizin? Eine ethische Kritik

Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 189 - 194Letter to the Article of G. Maio: Is Aesthetic Surgery Still Really Medicine? An Ethical CritiqueHandchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 189 - 194J. von Finckenstein1 , H. Sandner1 , H.-D. Axmann1 , R. Wagner1
  • 1Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC)
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Publikationsverlauf

eingereicht 8.8.2007

akzeptiert 18.9.2007

Publikationsdatum:
05. November 2007 (online)

„Ich habe den Eindruck, hier auf der verkehrten Veranstaltung zu sein“, war vom Podium aus Professor Axel Mario Fellers unmittelbarer Kommentar, nachdem Prof. Giovanni Maio seinen Vortrag in Aachen anlässlich des DGPRÄC-Jahreskongresses im September 2006 gehalten hatte. Herr Feller sprach den meisten aus der Seele. Auch uns.

Dass eine alt verdiente Kollegin vergangener Tage, die seit vielen Jahren nicht mehr das Tagesgeschehen miterlebt, in einem weiteren Artikel der HaMiPla eine Plattform erhält, um Öl aufs Feuer dieses völlig an der Realität vorbei gehaltenen Vortrags zu gießen, schmerzt. Wir wähnten sie als Anwältin unserer Zunft, nicht als Klägerin.

Dass Ärzte - und sicher nicht nur plastische Chirurgen - nicht mehr wie früher Halbgötter in Weiß sind, sondern zunehmend Dienstleister und auch Handwerker, mag vielen aus vergangenen Tagen missfallen, weil damit der Stellenwert des Arztes vermeintlich reduziert wird. Dieser Tatbestand bleibt aber dennoch Fakt.

Der Kernpunkt unserer Zurückweisung liegt darin, dass die Basis der ethischen Kritik von dem Image genährt wird, die die Medien unserem Fachgebiet geben, aber nicht vom tatsächlichen Tagesgeschehen; somit geht die gesamte Beurteilung von einer fehl eingeschätzten Grundvoraussetzung aus, ähnlich der falsch gerechneten Bilanz eines Unternehmens, weil verkehrte Zahlen vorliegen.

Und wenn die Basis nicht stimmt, fällt die Gesamtbeurteilung ethisch wie fachlich falsch aus. Dadurch wirkt dieser philosophische Exkurs trivial, fast billig. Der moralisch erhobene Zeigefinger beim bestehenden Wunsch nach Korrektur subjektiv empfundener körperlicher Makel erinnert an die Zeiten, als der Brustwiederaufbau nach Krebsamputationen mit großer Vehemenz mit den Kommentaren zurückgewiesen wurde: „Die Patientin soll froh sein, dass sie lebt!“

Nun haben sich die Möglichkeiten medizinischer „Machbarkeit“ gewandelt, sodass der Brustwiederaufbau glücklicherweise zwischenzeitlich integraler Bestandteil der Krebstherapie ist. Um die Wortwahl von Herrn Maio wieder aufzunehmen, die „Machbarkeit“ medizinischer Maßnahmen wandelt das ethische Verständnis. Griechisch bedeutet der Begriff Ethik „έθικέ (ἐπιστέμη) ēthikē (epistēmē)“ „das sittliche (Verständnis)“, von ἤθος ēthos „gewohnter Sitz; Gewohnheit, Sitte, Brauch; Charakter, Sinnesart“. Und wenn es mehr und mehr machbar und auch zur „Sitte“ wird, die Freiheit zu haben, darüber zu entscheiden, sich eines störenden körperlichen Stigma zu entledigen, dann wird sich das Ethikverständnis dieser Tatsache mittelfristig beugen (müssen): Es ist anmaßend, Patienten und Behandelnde ethisch-moralische Verwerflichkeit vorzuwerfen - und dann noch die merkantilen Interessen des Arztes in den Vordergrund zu stellen. Merkantiles Streben ist kein Phänomen unserer Zeit, genügend Beispiele aus den Zeiten der Tätigkeit von Frau Schmidt-Tintemann zeigen, dass das immer Thema war. Der zynische Hinweis, früher wären schiefe Zähne ja auch „natürlich“ gewesen, gibt das Sahnehäubchen obendrauf.

Ein gepflegtes Erscheinungsbild ist Zeichen von Zivilisation; sein Aussehen entsprechend verbessern zu wollen gehört dazu.

Gerade in der von Herrn Maio zitierten griechischen Antike hat die Kaloagathie (Das Gute ist Schön) einen so hohen Stellenwert, dass sie unser heutiges Schönheitsideal noch beeinflusst; in den Statuen von Praxiteles im 4. Jh. vor Chr. ist dieses beeindruckend wiederzuerkennen. Menschen fühlen sich gut, wenn sie schön(er) sind. Bis heute greift dieses Empfinden in fast allen Gesellschaften seit langen Zeiten: das Märchen „die Schöne und das Biest“ zeigt dieses exemplarisch auf. Warum soll ein Arzt einem Patienten das Recht verweigern, sich „schöner“ zu machen, wenn er nach seinen Maßstäben das Bedürfnis dazu hat; die Maßstäbe der Ethiker und Moralisten haben da nichts zu suchen. Darf eine Patientin sich überhaupt noch schminken oder ein schönes Kleid kaufen? Wenn das zugestanden wird, möglicherweise nur bis zu einem gewissen Preis, weil sonst auch der moralische Zeigefinger droht? Wo greifen die Grenzen der Toleranz?

Wir Verfasser dieses Kommentars erleben die tägliche Praxis aus allererster Hand; wir können besten Gewissens bestätigen, dass wir den allermeisten Menschen „therapeutisch“ Gutes tun: wenn zum Beispiel eine Patientin sich nach einer Brustformkorrektur wieder weiblicher und besser fühlt. Und dass damit auch noch Geld verdient werden kann, hat nichts moralisch Verwerfliches. Sich an den Ausnahmen unseres Berufsstandes zu orientieren ist genauso unsinnig wie die Sorge einiger Patienten, die sich an den schlechten Nachrichten schief gegangener Eingriffe orientieren. Dass die überwiegende Mehrzahl der OPs gut ausgeht und die Patienten befriedigt, ist medial natürlich keine Nachricht wert. Und dass die überwiegende Mehrheit der Kollegen keine Sensationsextreme unsinniger „Schönheitschirurgie“ durchführen, ebenso wenig.

Herzlich ist Prof. Maio eingeladen, eine Woche in irgendeiner Klinik einer unserer DGÄPC-Mitglieder „mitzumachen“, damit er sein Bild der täglichen Praxis eines plastisch-ästhetischen Chirurgen grundlegend revidieren kann.

Dr. med. Joachim von Finckenstein

Plastische und Ästhetische Chirurgie
Praxis in den Seearkaden

Wittelsbacher Straße 2 a

82319 Starnberg

eMail: finckenstein@i-dial.de

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