intensiv 2007; 15(2): 102-103
DOI: 10.1055/s-2007-963678
Recht

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Hygienemängel im Zusammenhang mit einer Injektionstätigkeit können zum Schadensersatz verpflichten

Werner Schell
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Publication Date:
26 October 2007 (online)

Der Fall

Ein am 10.9.1941 geborener Mann war wegen Beschwerden im linken oberen Sprunggelenk (rezidivierende posttraumatische Sprunggelenksarthritis nach im Jahr 1993 operativ versorgter Fersenbeinfraktur) seit 1995 in der orthopädischen Praxis eines Arztes in Behandlung. Zur schmerzlindernden Therapie wurde dabei innerhalb von drei Jahren 12-mal intraartikulär eine Mischung aus dem Corticosteriod Lipotalon und dem Lokalanästethikum Meaverin injiziert. Nachdem der Mann zuvor gestolpert war, begab er sich wegen massiver Schmerzen im linken Sprunggelenk am 15.6.1998 erneut in die Praxis des Arztes. Dort erhielt er vom Arzt die übliche Injektion. Die mit Streptokokken der Gruppe A infizierte Arzthelferin hatte am Morgen ohne Mundschutz und sterile Handschuhe die Spritze „en bloc” mit sämtlichen am Tag zu verabreichenden Spritzen aufgezogen; sie wurden ausschließlich bei Raumtemperatur im Behandlungsraum aufbewahrt. Als am nächsten Tag (16.6.1998) bei dem Patienten keine Besserung eintrat, veranlasste der erneut in Anspruch genommene Arzt die stationäre Einweisung in die chirurgische Klinik eines Krankenhauses. Dort wurde am 17.6.1998 zunächst eine Unterschenkelthrombose links und nachfolgend eine Durchblutungsstörung des linken Beins festgestellt. Im Zuge der Untersuchungen wurden Streptokokken der Gruppe A nachgewiesen. In der Nacht zum 18.6.1998 musste unter der Verdachtsdiagnose einer nekrotisierenden Fasciitis mit nachfolgendem septischem Syndrom eine Oberschenkelamputation durchgeführt werden. Anschließend wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt. Dort verstarb er am Vormittag des 18.6.1998 infolge septischen Multiorganversagens, verursacht durch eine Streptokokkeninfektion. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang kam es zu einem weiteren Todesfall sowie vier weiteren Infektionsfällen nach in der Praxis des Orthopäden verabreichten intraartikulären Injektionen. Die zu diesem Zeitpunkt aushilfsweise in der Arztpraxis arbeitende Arzthelferin, bei der im Mai 1998 eine akute Angina tonsillaris mit Nachweis von Streptokokken der Gruppe A festgestellt worden war, hatte am 15.6.1998 in praxisüblicher Weise (ohne Mundschutz und sterile Handschuhe) sämtliche Injektionen vorbereitet. Die bei der Arzthelferin festgestellte Infektion war noch im Mai 1998 antibiotisch behandelt worden. Vor Aufnahme ihrer Aushilfstätigkeit in der Praxis des Orthopäden am 18.5.1998 hatte sie diesen am 15.5.1098 telefonisch über ihre Infektion mit Streptokokken der Gruppe A sowie die antibiotische Behandlung in Kenntnis gesetzt. Bei weiteren Untersuchungen wurde ermittelt, dass die Arzthelferin von ihren in häuslicher Gemeinschaft lebenden Schwestern unbemerkt mit Streptokokken der Gruppe A reinfiziert worden war. Angesichts dieser Sachlage bestand zwischen den Parteien Einvernehmen darüber, dass die von der Arzthelferin aufgezogene Spritze, die dem Patienten verabreicht worden war, mit Streptokokkenbakterien der Gruppe A kontaminiert war und dies zu einer Infektion beim Patienten mit eben diesen Streptokokken führte. Bei einer späteren amtlichen Kontrolle der Arztpraxis wurde festgestellt, dass keine geeigneten Desinfektionsmittelspender (sondern nur Sprühpumpflaschen) sowie kein schriftlich fixierter Hygieneplan vorhanden war. Die Ehefrau des verstorbenen Patienten verklagte daraufhin den ambulant in Anspruch genommenen Orthopäden wegen behaupteter Behandlungsfehler, Organisationsverschuldens und Aufklärungsmängel. Das Landgerichts (LG) München I hielt die auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt. Ein zuvor gegen den Orthopäden durchgeführtes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren (Az.: 125 Js 11383/98) war gegen Geldauflage eingestellt worden.

Werner Schell

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