Balint Journal 2007; 8(1): 16
DOI: 10.1055/s-2007-960582
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aus der erweiterten Redaktionskonferenz

Kommentar und Ergänzendes von Sigmar Scheerer[1] S. Scheerer
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Publication Date:
30 March 2007 (online)

Die Vorstellung der videogestützten Qualitätszirkelarbeit mit der Themenwahl Salutogenese ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Das im Göttinger Arbeitskreis [1] entwickelte Konzept der Qualitätszirkel ist eine wesentliche Bereicherung der hausärztlichen Fort- und Weiterbildung. Fallbesprechungsgruppen von Landärzten sind ebenso in dieser Richtung einzuordnen [2]. Wichtige Wurzeln der Qualitätszirkel und Gruppensupervision sind im Konzept M. Balints aufgehoben.

Es ist begrüßenswert, dass die Autoren in Zeiten der sich schnell ändernden studien- und leitliniengestützten Medizin, die schon heftiger formuliert, sich in der Entwicklung zur Industrialisierung und Merkantilisierung befindet (Editorial Balint-Journal 01 / 06), ausdrücklich auf die Bedeutung und den Stellenwert des Narrativs und der Arzt-Patientenbeziehung in der Hausarztmedizin verweisen.

Tonband- bzw. noch günstiger Videoaufnahmen von hausärztlichen Patientenbegegnungen sind als Modell ein guter Zugang zum Training der Gesprächsführung, wie es im 80-Stunden-Programm der psychosomatischen Grundversorgung implentiert ist. In Rollenspielen können die affektiven Knotenpunkte wie Eröffnungszug, Pausen, Abschiedskommentar- / klage (M. Balint) beobachtet und ausgelotet werden. In den vorgestellten Transskripten wird darauf expliziert kein Bezug genommen. Das Bilanzierungsgespräch mit dem Ablaufschema verwirrt den Leser dahingehend, dass die Gesprächseröffnung mit einem männlichen Patienten erfolgt, die Gesprächsbeendigung und Evaluation jedoch mit einer Patientin geführt wurde.

Hervorgehoben ist die Bedeutung des Patientenauftrages an den Arzt, dessen Klärung besonders wichtig ist, aber oft unterlassen wird. Derartige Unterlassungen werden nicht selten in Balintgruppen als ein Teil der problematischen Arzt-Patient-Beziehung aufgespürt und als blinder Fleck erkannt.

Die Themenwahl „Salutogenese” im Qualitätszirkelprojekt verdient besondere Beachtung für die Hausarztpraxis. Sie berührt auch die Auto-Salutogenese als Prophylaxe des Burn-Out-Syndroms, wie es B. Maoz (Balint 2004; 5: 112-118) mit der Balintgruppe als Prophylaktikum des Burn-Out-Syndroms darstellt. Das „ungesunde Gesundheitssystem” in Israel, wie es B. Maoz kurz skizziert, ist dem deutschen Leser nicht fremd.

Gegenüberstellungen, hier Qualitätszirkel da Balintgruppe, sind schwierig zu handhaben.

Gemeinsamkeiten finden sich schnell: Es handelt sich um Fallbesprechungsgruppen, jedoch der Qualitätszirkel ist offenbar leiterzentriert, die Balintgruppe wird eher durch die Leitung moderiert im herrschaftsfreien Raum (E. R. Petzold). Die Vorstellung eines problematischen Falles erfolgt im kollegialen Austausch, wo auch Sach- und Fachprobleme zum Verständnis der Arzt- Patienten-Beziehung und des Patienten in seiner Krankheits- und Lebensbewältigung (Stichwort: Kranksein, Erstellung der Gesamtdiagnose) zu Wort kommen.

W. König (Balint 1 2000; 8-13) spricht dem Balintgruppenleiter die ständig gegenwärtige Rolle des Supervisors zu. Er sieht den Referenten (Fallvortragenden) wie in der Einzeltherapie als den Patienten und die Gruppe als Therapeuten. Ein Modell, das vieles für sich hat, aber auch Kritiker auf den Plan gerufen hat (W. Baur, Balint 2000; 47-49).

Die Gegenüberstellung Video versus Fallbericht erscheint unglücklich, da zwei verschiedene Ebenen dargestellt werden: hier die audiovisuelle Falldokumentation, da die mit emotionalen Inhalten gefüllte Falldarstellung des Referenten. Das Kranksein des Patienten ist gemeinsames thematisches Ziel der Gruppenarbeit im vorgestellten Projekt und in der Balintgruppe. Unglücklicherweise wird in den Zielgruppen eine Differenz beschrieben. Balintarbeit ist ebenso und vielleicht mehr als die vorgestellte Qualitätszirkelarbeit interdisziplinäres Arbeitsfeld (S. Scheerer, Balint 2003; 4: 72-77), die Heterogenität ist bereichernd und eines der „Nebenziele” ist der Blick über den eigenen Tellerrand in die Werkstatt anderer Fachgebiete und Berufsgruppen.

1 Zu: Salutogenetische Orientierung in der hausärztlichen Praxis: Qualitätszirkel als Fortbildungs- und Forschungsinstrument: von O. Bahrs u. a.

Literatur

  • 1 Bahrs O. et al .Ärztliche Qualitätszirkel, Leitfaden für den Arzt in der Praxis und Klinik. Deutscher Ärzteverlag, Köln 2001
  • 2 Scheerer S, Hülpisch K. Balintgruppe, Fallbesprechungsgruppe und Problemfallseminar.  Z Ärztl Fortbild. 1990;  84 1269-1271

1 Zu: Salutogenetische Orientierung in der hausärztlichen Praxis: Qualitätszirkel als Fortbildungs- und Forschungsinstrument: von O. Bahrs u. a.

MR Dr. med. S. Scheerer

Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie · 2. Vorsitzender der Deutschen Balint-Gesellschaft

Alte Poststraße 12

15518 Heinersdorf

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