Fortschr Neurol Psychiatr 2007; 75(5): 309-310
DOI: 10.1055/s-2007-959217
Stellungnahme
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Thujon und Absinth - nur eine historische Mesalliance?

A.  Heinz1 , L.  Lobbedey2 , J.  Hein1
  • 1Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte, Berlin
  • 2SGS, Institut Fresenius GmbH, Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. Mai 2007 (online)

Herr Lachenmeier kritisiert an unserem kurzen Exkurs zum Absinth im Rahmen unseres Artikels [1] zu den neurobiologischen Grundlagen der Alkoholabhängigkeit drei Punkte [2]:

Erstens stellt er infrage, dass Thujon in nennenswertem Ausmaß in als Absinth deklarierten Getränken vorhanden ist,

Zweitens kritisiert er spezifische Aussagen zu den pharmakologischen Wirkungen des Thujons und

Drittens postuliert er, dass der Verbraucher beim Absinthkonsum keine gesundheitsschädigenden Mengen an Thujon aufnimmt und warnt vor einer Verharmlosung des Alkoholkonsums.

Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass die von Herrn Lachenmeier und von uns zitierte Literatur sehr unterschiedliche Thujonwerte im Absinth angibt. Gegenüber der aktuell von Herrn Lachenmeier zitierten Literatur und seinen Ergebnissen aus eigenen Experimenten [3], die durchgängig Thujonkonzentrationen unter 7 mg/l angeben, ist einzuwenden, dass sowohl in einer Arbeit von Herrn Lachenmeier selbst [4] als auch in internationalen Veröffentlichungen des British Medical Journal [5] und Scientific American [6] von Werten bis zu 100 mg/l bzw. sogar bis zu 260 mg/l Thujon im Absinth ausgegangen wird. Untersuchungen im Auftrag des Bundesinstituts für Risikobewertung fanden 2003 in aktuell auf dem Markt befindlichen Absinthprodukten Thujongehalte von bis zu 44,9 mg/l, die damit den gesetzlichen Höchstwert deutlich überschritten [7] [8].

Absinth ist also weder thujonfrei, noch sind die Thujonkonzentrationen so minimal, dass sie zu vernachlässigen sind.

Zweitens kritisiert Herr Lachenmeier zwei Formulierungen aus unserem Text, die aus dem Zusammenhang gerissen und sogar als Satz unvollständig zitiert wurden. Sie lauten erstens „Damit müssen für das Eintreten der akuten Wirkungen größere Mengen Alkohol aufgenommen werden”. Diese Aussage bezieht sich direkt auf die beiden vorhergehenden Sätze, die zwei Thujoneffekte benennen: eine inhibitorische Wirkung am GABAA Rezeptor und eine Verminderung der Empfindlichkeit der Serotonin 5-HT3 Rezeptoren; beide Effekte sind der Alkoholwirkung entgegengesetzt. Herr Lachenmeier wendet hier ein, dass die pharmakologischen Wirkungen des Thujons bei gleichzeitigem Alkoholkonsum ganz anders ausfallen könnten. Er postuliert, dass „hinsichtlich der Blockierung der Rezeptoren ... im Gegenteil (anzunehmen ist), dass Ethanol die negativen Effekte des Thujons blockiert”. Dieser Aussage widersprechen aber einerseits in vitro Untersuchungen zur pharmakologischen Wirkung der gemeinsamen Verabreichung von Ethanol und niedrig dosiertem Thujon [9] und andererseits die von Herrn Lachenmeier selbst zitierte Publikation von Dettling u. Mitarb. 2004 [10]. Diese unterstützt unsere Sichtweise und stellt fest, dass „die Wirkungen des Thujons den Wirkungen von GABAergen Substanzen wie Ethanol ... entgegengesetzt sind.” Sie ziehen den Schluss, „dass die beobachteten Reaktionen durch den antagonistischen Effekt des Thujons am GABA-Rezeptor erklärbar sind”. Will eine Person also dieselbe subjektive Alkoholwirkung erzielen, müssten wie von uns postuliert größere Alkoholmengen konsumiert werden.

Die zweite, von Herrn Lachenmeier kritisierte Aussage findet sich in unserem Text direkt im Anschluss an die erste und besagt, dass „Thujon gleichzeitig die negativen Effekte des Alkohols blockiert”. Herr Lachenmeier sieht hier die Gefahr der Verharmlosung des Alkoholkonsums, insbesondere in Bezug auf die Fahrtauglichkeit. Von der Fahrtauglichkeit ist aber in unserem ganzen Artikel nicht die Rede, der sich ausschließlich und ausdrücklich auf das Risiko der Abhängigkeitsentwicklung bezieht. Im Kontext der Abhängigkeitsentwicklung wird auch der von Herrn Lachenmeier leider nur inkomplett zitierte Satz verständlich. Er lautet im Original: „Da Thujon gleichzeitig die negativen Effekte des Alkohols blockiert, könnte dies zu einem erhöhten Konsum von Absinth führen. Das Getränk hätte somit wahrscheinlich ein erhöhtes Suchtpotential.” Die hier angesprochenen, negativen Effekten des Alkohols beziehen sich natürlich auf die im Rahmen der Abhängigkeitsentwicklung relevanten pharmakologischen Alkoholwirkungen. In unserem Artikel werden diese Alkoholeffekte im Detail erläutert; zu ihnen zählen die genannten GABAergen (anxiolytischen) und serotonerg-dopaminergen (belohnenden) Alkoholwirkungen. Wenn Thujon also diese pharmakologischen Alkoholeffekte abschwächt, besteht die Gefahr, dass exzessive Alkoholkonsumenten noch mehr Alkohol trinken, um die mit dem Alkoholkonsum angestrebte Wirkung zu erzielen. Unsere Aussage endet mit dem Satz: „Die historischen Beschreibungen scheinen diese Hypothese zu unterstützen, aktuelle Studienergebnisse liegen jedoch noch nicht vor.” Statt also den Alkohol- oder Thujonkonsum zu verharmlosen, wie Herr Lachenmeier fälschlicherweise behauptet, warnen wir vor einer möglichen sucht-verstärkenden Wirkung der Thujon-Alkohol-Kombination und verweisen explizit darauf, dass Studien zur Bestätigung dieser Annahme durchgeführt werden sollten. Natürlich kann man den Sinn jeder Aussage entstellen, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt und sogar einzelne Sätze inkomplett zitiert. Dies ist aber weder im Rahmen wissenschaftlicher noch sonstiger Kommunikation statthaft.

Herrn Lachenmeiers abschließende Bewertung des Absinth- und Alkoholkonsums vermögen wir nicht in allen Punkten nachzuvollziehen. Einerseits warnt Herr Lachenmeier (sicherlich in Übereinstimmung mit unserer eigenen Intention) vor einer Verharmlosung des Alkoholkonsums und betont die Sicht des Jugendschutzes und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Andererseits postuliert er unserer Ansicht nach vorschnell, dass die pharmakologischen Effekte der Thujon-Alkohol-Kombination bei der Entwicklung der Alkoholabhängigkeit keine Rolle spielen können. Zur Überprüfung der pharmakologischen Wirkungen des Absinths halten wir - in Übereinstimmung mit nahezu allen anderen Arbeitsgruppen, die sich mit der Thematik beschäftigt haben - die bereits in unserem Übersichtsartikel eingeforderten weiterführenden Studien zum Risiko der Abhängigkeitsentwicklung für dringend geboten.

Zu einer Verharmlosung des Absinthkonsums besteht von daher ebenso wenig Anlass wie zu einer Verharmlosung des Alkoholkonsums, und wir denken, dass wir zumindest in dieser abschließenden Aussage mit Herrn Lachenmeier einig sind.

Literatur

  • 1 Hein J, Wrase J, Heinz A. Alkoholbedingte Störungen - Ätiopathogenese und therapeutischer Ausblick.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2007;  75 10-17
  • 2 Lachenmeier D W. Absinth - Geschichte einer Thujon- oder Alkoholabhängigkeit?.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2007;  306 308
  • 3 Lachenmeier D W, Emmert J, Kuballa T, Sartor G. Thujone - Cause of absinthism?.  Forensic Science International. 2006;  158 1-8
  • 4 Lachenmeier D W, Frank W, Athanasakis C, Padosch S A, Madea B, Rothschild M, Kröner L U. Absinth - ein Getränk kommt wieder in Mode: toxikologisch-analytische und lebensmittelrechtliche Bewertungen.  Deutsche Lebensmittel-Rundschau. 2004;  100 117-129
  • 5 Strang J, Arnold W N, Peters T. Absinthe: what's your poison?.  British Medical Journal. 1999;  319 1590-1592
  • 6 Arnold W N. Absinthe.  Scientific American. 1989;  260 112-117
  • 7 Bundesinstitut für Risikobewertung .Modegetränk Absinth: BfR rät beim Konsum zur Vorsicht. 2003 http://www.bfr.bund.de/cms5w/sixcms/detail.php/2198<
  • 8 Lang M, Fauhl C, Wittkowski R. Belastungssituation von Absinth mit Thujon. BGVV Hefte; Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin 08, 2002
  • 9 Höld K M, Sirisoma N S, Ikeda T, Narahashi T, Casida J E. Alpha-thujone (the active component of absinthe): gamma-aminobutyric acid type A receptor modulation and metabolic detoxification.  Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 2000;  97 3826-3831
  • 10 Dettling A, Grass H, Schuff A, Skopp G, Strohbeck-Kuehner P, Haffner H-Th. Abstinthe: Attention Performance and Mood under the Influence of Thujone.  Journal of Studies on Alcohol. 2004;  65 573-581

Prof. Dr. Andreas Heinz

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Charité Campus Mitte

Charitéplatz 1

10117 Berlin

eMail: andreas.heinz@charite.de

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