Zusammenfassung
Das CEBRA-Projekt zielte darauf ab, ein Verfahren zu entwickeln, das bei Reha-Anträgen
computergestützt eine Vorbewertung der Reha-Bedürftigkeit nach einheitlichen, transparenten
Kriterien vornimmt, so dass die Anträge mit einer entsprechenden Empfehlung zur endgültigen
Entscheidung an den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) weitergeleitet werden können.
Dazu wurden die vorliegenden Handbücher und Leitlinien zur Beurteilung von Reha-Anträgen
analysiert mit dem Ziel, die wesentlichen Kriterien zur Beurteilung von Reha-Bedürftigkeit
zu identifizieren und in messbare Parameter zu übersetzen. Auf dieser Grundlage wurden
ein Arztbogen und ein Fragebogen für Antragsteller entwickelt, mit denen Daten zu
den relevanten Parametern erhoben werden können. Sodann wurden Algorithmen definiert,
die bestimmte Kombinationen dieser Parameter einer abschließenden Empfehlung zuordnen.
Von Oktober 2004 bis März 2005 ist eine Pilotstudie durchgeführt worden, die parallel
zu den Entscheidungsvorgängen bei der Rentenversicherung (RV) ablief und keinerlei
Einfluss auf die Entscheidungen der RV hatte. In die Pilotstudie wurden insgesamt
436 Antragsteller aufgenommen, von denen jeweils ein Arztbogen und ein Fragebogen
für Antragsteller vorlagen. Die Empfehlungen durch das CEBRA-Programm sind abschließend
mit den Entscheidungen verglichen worden, die in den betreffenden Fällen von der RV
getroffen worden waren. Bei der Auswertung zeigte sich, dass die eingesetzten Algorithmen
in der Lage sind, die im Hinblick auf die Reha-Bedürftigkeit wenig belasteten und
nach eigener Einschätzung wenig erwerbsgefährdeten Antragsteller von den stärker bzw.
sehr stark belasteten eindeutig und in inhaltlich plausibler Weise zu trennen. Beim
Vergleich der CEBRA-Bewertungen mit den Entscheidungen der RV ergab sich zunächst,
dass das Verhältnis von Bewilligungen zu Ablehnungen - nach Ausschluss der Ablehnungen
aus formalen Gründen - mit jeweils ca. 80:20 in beiden Verfahren gleich ist. Damit
führt das CEBRA-Verfahren nicht zu Veränderungen beim Verhältnis der Bewilligungen
zu den Ablehnungen. Wird der Vergleich zwischen beiden Verfahren auf die einzelnen
Fälle bezogen, zeigt sich allerdings keine überzufällige Übereinstimmung. Der Grund
für dieses Ergebnis dürfte u. a. darin zu suchen sein, dass zwar dieselben Personen
beurteilt wurden, dass aber die Informationen, die den Entscheidungen in jedem der
beiden Verfahren zugrunde lagen, nicht dieselben waren und möglicherweise große Unterschiede
aufwiesen. Als zusammenfassende Bewertung des CEBRA-Verfahrens kann festgehalten werden,
dass es wesentlich zu einer Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen und zu einer
Erhöhung der Beurteilungsobjektivität bei den Entscheidungen des SMD beitragen kann.
Abstract
The CEBRA project aimed at developing a computer aided procedure by which applications
for rehabilitation can be assessed according to uniform and transparent criteria so
that the applications together with a recommendation for decision-making can be transferred
to the sociomedical services for final decision. For this, we first analyzed the existing
manuals and guidelines for assessing applications for rehabilitation with the aim
of identifying the main criteria, and then to translate them into measurable parameters.
We then developed questionnaires for physicians treating the applicants as well as
for the applicants themselves. Finally, algorithms were defined which compress the
various combinations of these parameters into a recommendation for decision-making.
Between October 2004 and March 2005, a pilot study was performed which ran parallel
to the normal processes of decision-making by the insurance administration. In the
pilot study, 436 applications were included for which questionnaires were available
both from a physician and an applicant. The recommendations given by the CEBRA programme
were finally compared with the decisions that had in fact been made by the administration
in these cases. The results of the pilot study showed that the algorithms employed
are capable of distinguishing very clearly and in a meaningful way between applicants
with only minor medical problems and disabilities, on the one hand, and with medium
or severe problems on the other. The comparison with the administrative decisions
in these cases showed a similar rate of approval (80%) in both procedures. This means
that the CEBRA programme does not change the general rate of approval. With respect
to the individual cases, however, the comparisons revealed no statistically significant
concordance between the two procedures. Reasons for this finding may result from the
fact that - even though the same persons were compared - the information underlying
the CEBRA recommendations or the administrative decisions, respectively, were not
the same and may in fact have been quite different. In sum, we conclude that the CEBRA
programme can very well improve the basis of information as well as the objectivity
of making decisions on applications for rehabilitation.
Schlüsselwörter
Rehabilitationsbedürftigkeit - Reha-Anträge - sozialmedizinische Beurteilung
Key words
indication for rehabilitation - applications for rehabilitation - sociomedical assessment
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1 Die hier angeführten Algorithmen stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl
von Regeln dar, nach denen die Reha-Bedürftigkeit bewertet wurde. Bei Widersprüchen
zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung wurde so vorgegangen, dass bei Angaben zur
subjektiven Situation des Patienten - wie z. B. Schmerzen, Aktivitätseinschränkungen
in Alltag und Beruf sowie psychosoziale Belastung - die Selbsteinschätzung generell
höher gewichtet wurde als die Fremdeinschätzung. Falls eine der beiden Einschätzungen
fehlte, ging die andere mit vollem Gewicht in die Bewertung ein. Bei den medizinischen
Kriterien der Rehabilitationsbedürftigkeit dagegen wurden (mit Ausnahme der „besonderen
beruflichen Belastungen”) ausschließlich die hausärztlichen Angaben in die Algorithmen
einbezogen. Natürlich stellt sich hier die Frage nach der Validität dieser Angaben.
Da jedoch die medizinischen Kriterien in den „Leitlinien” [1] recht gut in medizinischer Terminologie operationalisiert sind, können die hausärztlichen
Angaben unseres Erachtens hier als relativ valide angesehen werden.
Korrespondenzadresse
Dr. Nikolaus Gerdes
Hochrhein-Institut für Rehabilitationsforschung
Bergseestr. 61
79713 Bad Säckingen
eMail: gerdes@hri.de