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DOI: 10.1055/s-2007-1032322
Heroingestützte Behandlung in Kanada, Europa und Deutschland – Politisches Umfeld, praktische Erfahrungen und weitere Entwicklungen
Vor dem Hintergrund der Erfahrung von Grenzen der Methadonsubstitution hinsichtlich Erreichbarkeit und differenzieller Wirkungen ist der Ausgangspunkt der heroingestützten Behandlung die Verbesserung der Behandlung für diese Gruppe besonders belasteter Opiatabhängiger. Sie wurde 1994 in der Schweiz eingeführt und im Laufe der 90er hinsichtlich Machbarkeit und Durchführbarkeit sowie sozialer und medizinischer Entwicklung und des Legalverhaltens der Patienten während der Behandlung in unterschiedlichen Begleitstudien untersucht. Mittlerweile sind in der Schweiz die positiven langfristigen Wirkungen der heroingestützten Behandlung aufgezeigt, die heroingestützte Behandlung ist zugelassen und wird von ca. 1000 Patienten genutzt.
Über die Schweizer Studien hinaus wurden in den letzten Jahren in den Niederlanden, Spanien und Deutschland die ersten randomisierten und kontrollierten Studien zur heroingestützten Behandlung im Vergleich zur Methadonbehandlung abgeschlossen.
Das wichtigste Ergebnis dieser Studien ist eine signifikante Überlegenheit der Heroin- gegenüber der Methadonbehandlung in den zentralen Zielkriterien der gesundheitlichen Entwicklung, der Verringerung des illegalen Drogenkonsums sowie der Delinquenz. Es wurde der klinische Nachweis für eine größere Wirksamkeit der Heroinbehandlung gegenüber der Methadonsubstitution für eine bestimmte Gruppe von Opiatabhängigen erbracht.
Aktuell wird in England eine Untersuchung gestartet, in der für die genannte Gruppe der Opiatabhängigen iv-Heroin bzw. iv-Methadon im Vergleich zur optimierten Methadonsubstitution untersucht wird. Hier hat die Rekrutierung begonnen. Mit Ergebnissen ist 2009 zu rechnen.
In Kanada konnte die Rekrutierung für die heroingestützte Behandlung im Vergleich zu Methadon bis Mitte 2007 abgeschlossen werden. Die 12-monatige Intervention, die als Hauptzielkriterium die Haltekraft der Heroinbehandlung untersucht, ist im Sommer 2008 abgeschlossen. Ein interessanter neuer Aspekt der kanadischen Studie ist der verblindete Einsatz von Hydromorphone (Dilaudid) in Vergleich mit Diamorphin.
Die internationale Situation zur Originalstoffabgabe lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Die Originalstoffvergabe hat vor dem Hintergrund der Machbarkeit und des wissenschaftlichen Nachweises der Wirksamkeit im Rahmen der bestehenden Hilfeangebote – bezogen auf definierte Zielgruppen – die Perspektive, sich zukünftig als eine Behandlungsalternative in Ergänzung des bestehenden Behandlungssystems zu etablieren (wobei die Methadonsubstitution die vorrangige Behandlungsoption bleiben dürfte).
Die Vergabe erfolgt allerdings bislang in den meisten Ländern im Rahmen wissenschaftlicher Studien. Die Ausnahmen sind Großbritannien, wo die Möglichkeit der Originalstoffabgabe nie unterbunden wurde, die Schweiz, in der die heroingestützte Behandlung nach der Zulassung von Heroin als Medikament praktisch implementiert ist und die Niederlande, in denen die Zulassung von intravenösem und rauchbarem Heroin erfolgt ist und die Behandlung schrittweise ausgeweitet wird.
In Deutschland stellt sich vor dem Hintergrund der positiven Bewertung der Ergebnisse des Modellprojektes zur heroingestützten Behandlung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und der Fachöffentlichkeit die Substitutionspraxis mit Diamorphin wie folgt dar.
Alle sieben an dem Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung in Deutschland teilgenommen Studienzentren haben mit Auslauf der Studie 2006 einen Antrag bei der Bundesopiumstelle des BfArM gestellt, die Behandlung ab 2007 als Behandlung im öffentlichen Interesser gemäß §3, Abs.2 des BTMG weiterführen zu können. Die Antragsstellung erfolgte in Absprache mit den jeweiligen kommunalpolitischen Entscheidungs- und Finanzierungsträgern. Alle Anträge sind vom BfArM positiv beschieden worden für die noch in Behandlung befindlichen Studienpatienten. Unterschiedlich gehandhabt wird die Neuaufnahme von Patienten, da nicht in allen Ambulanzen die notwendige Finanzierung von Seiten der Länder und Kommunen geleistet wird.
Eine von der Gesundheitsministerkonferenz beauftragte Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder hat im Jahr 2006 unter Einbeziehung der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung, des AOK-Bundesverbandes und des Gemeinsamen Bundesausschusses praktikable Rahmenbedingungen für die zukünftige Diamorphinbehandlung in Deutschland vorgelegt. Diese orientieren sich an den Vorgaben der BtMVV, den BUB-Richtlinien und den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Substitutionsbehandlung.
Derzeitig stellt die erforderliche aber noch ausstehende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes für die Verkehrs und Verschreibungsfähigkeit von Diamorphin die entscheidende Hürde dar, den Zulassungsantrag des pharmazeutischen Herstellers beim BfArM zu bearbeiten, um danach die Verhandlungen mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss und den Krankenkassenverbänden Kostenübernahme der Diamorphinbehandlung aufzunehmen.
Aus der praktischen Erfahrung der heroingestützten Behandlung seit 2002 ist festzustellen, dass nicht nur die zentralen Zielkriterien wie schnellere und bessere gesundheitliche Stabilisierung, Reduktion des Beikonsums anderer Suchtstoffe und verringerte Delinquenz gut erreicht wurden. Es hat sich auch gezeigt, dass die heroingestützte Behandlung schon nach kurzer Zeit zu einer Herauslösung aus der Drogenszene führt und zur Aufnahme drogenfreier sozialer Kontakte und Freizeitgestaltung führt und die Wiedereingliederung in Ausbildungs- und Arbeitsprozesse innerhalb der ersten drei Behandlungsjahre bei vielen Patienten möglich wurde.
Die intravenöse Verabreichung von Diacetylmorphin unter ärztlich/pflegerischer Aufsicht ist unter Einhaltung engmaschiger Urinkontrollen auf Beikonsum und kontinuierlicher Erhebung des Vigilanz scores ohne nennenswerte Not- oder Zwischenfälle durchführbar.
Die Durchführung der heroingestützten Behandlung hat an den jeweiligen Standorten zu keinen sicherheitsrelevanten Problemen mit dem Umfeld oder der Öffentlichkeit geführt. Die vom Bundeskriminalamt vorgegebenen Sicherheitsbestimmungen haben sich als ausreichend erwiesen und sind bei der Etablierung neuer Ambulanzen unter Berücksichtigung der hohen Kosten einer Überprüfung und Modifikation zu unterziehen.