Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P62
DOI: 10.1055/s-2007-1032250

Botulinumtoxintherapie bei tardiver Dyskinesie der Zunge nach Neuroleptikamedikation

E Krause 1, K Bötzel 1, J Hennings 1, TC Wetter 1, R Gürkov 1
  • 1München

Einleitung: Tardive Dyskinesien im Kopf-Hals-Bereich können als unerwünschte Nebenwirkung unter einer Psychopharmakatherapie auftreten. Sie persistieren nicht selten auch nach Absetzen der Medikation und sind für den betroffenen Patienten sowohl funktionell als auch psychisch sehr belastend. Durch Einsatz anderer Psychopharmaka, von Benzodiazepinen oder von Vitamin E-Präparaten wird versucht, solche Dyskinesien zu behandeln. Nicht immer mit Erfolg.

Methoden: Ein 28-jähriger männlicher Patient stellte sich bei uns mit einer extrapyramidal motorischen Störung im Sinne einer tardiven Dyskinesie der Zunge und perioral vor. Diese bestehe seit einer Neuroleptikamedikation (Flupentixol) im Rahmen einer schizoaffektiven Psychose 2001. Jahrelange Therapieversuche mit anderen Psychopharmaka (Olanzapin, Aripiprazol, Ziprasidon, Quetiapin) oder Benzodiazepinen (Clonazepam, Lorazepam, Diazepam) führten zu keiner Beschwerdebesserung. Auffallend war insbesondere eine andauernde Protrusion der Zunge aus dem Mund, welche den Patienten beim Sprechen deutlich behinderte und ihn sozial stigmatisierte. Daraufhin führten wir eine transkutane Injektion von je 60 U Botulinumtoxin A (Dysport®) in den Musculus genioglosssus beidseits unter sonografischer und elektromyografischer Kontrolle durch. Der Ausgangsbefund sowie der Therapieerfolg wurden videodokumentiert.

Resultate: Die Zungenprotrusion besserte sich bereits am 3. Tag post injectionem eindrucksvoll. Beim Sprechen besserte sich die Verständlichkeit deutlich und die Zunge trat auch in Ruhe nicht mehr zwischen den Zähnen hervor. Anfänglich berichtete der Patient über ein leichtes Kloßgefühl im Mund, welches nach weniger als 2 Wochen verschwand. Die Willkürmotorik und die Schluckfunktion der Zunge waren nicht beeinträchtigt.

Diskussion: Die lokale Botulinumtoxininjektion in den Musculus genioglossus stellt eine neue erfolgreiche Therapie bei tardiven Dyskinesion der Zunge dar. Sie ist den bisherigen Therapieoptionen deutlich überlegen, weil sie lokal erfolgt und somit risikoarm und effektiv ist. Systemische Nebenwirkungen sind bei fachgerechter Anwendung und sonografischer und/oder elektromyografischer Überwachung nicht zu befürchten. Limitiert ist die Methode dadurch, dass nur einzelne Muskelgruppen gezielt behandelt werden können. Bei perioralen Dyskinesien bestehen bisher noch keine Erfahrungen. Eine Behandlung bei nur einzelnen betroffenen Muskeln scheint jedoch möglich.