Zusammenfassung
Seit der klinischen Einführung von Diazepam, Flunitrazepam und Midazolam werden die
Benzodiazepine zunehmend zur Prämedikation, Narkoseeinleitung und Langzeitsedierung
bei Intensivpatienten eingesetzt, wobei vor allem die anxiolytische und sedierende
Komponente dieser Substanzklasse ausgenutzt wird. Für ein Monitoring der Benzodiazepinwirkungen
müssen ihre Effekte auf das Elektroenzephalogramm (EEG) und die evozierten Potentiale
(EP) bekannt sein, bevor eine Abschätzung des Sedierungsgrades auch bei Kombination
mit anderen Anästhetika (Hypnotika/Analgetika) möglich ist. Während das EEG die spontane
hirnelektrische Aktivität widerspiegelt, stellen sensorisch evozierte Potentiale reizbezogene
elektrische Antworten dar. Sie können Auskunft über die funktionelle Integrität afferenter
Leitungsbahnen von der Peripherie bis zum Kortex geben. Mit Entwicklung des spezifischen
Benzodiazepinantagonisten Flumazenil wird wegen seiner kompetitiven Bindung an den
Benzodiazepinrezeptor die Möglichkeit eröffnet, eine zeitlich steuerbare pharmakodynamische
Umkehr der Benzodiazepinwirkung hervorzurufen und eine Veränderung elektrophysiologischer
Parameter zu studieren. Als charakteristische EEG-Veränderungen unter Benzodiazepinwirkung
finden sich Aktivitätssteigerungen in höheren Frequenzbereichen sowie eine Abnahme
der alpha-Aktivität mit Eintritt der Sedierung. Simultan hierzu findet sich eine Aktivitätssteigerung
im niederen Frequenzbereich. Die durch Benzodiazepine hervorgerufenen Veränderungen
werden durch Flumazenil zu einem großen Teil wieder rückgängig gemacht, wobei das
zeitliche Verhalten des EEG-Spektrums entsprechend der Halbwertszeit von Flumazenil
bestimmt wird. Kortikale EP-Komponenten werden durch Benzodiazepine supprimiert, jedoch
bleiben subkortikale, in tieferen Gehirnregionen generierte Potentiale durch die bisher
klinisch untersuchten Benzodiazepine weitgehend unbeeinflußt. Die aufgrund der technischen
Entwicklungen mittlerweile auch klinisch einsetzbaren Multikanalableitungen von EEG
und EP mit nachfolgender mathematischer Interpolation der gemessenen Spannungsverläufe
über die Skalpoberfläche ermöglichen ein genaueres Studium der topographischen Lokalisation
der elektrophysiologischen Veränderungen unter Pharmakonwirkung. Wegen des großen
apparativen und personellen Aufwandes bedeutet dies für die anästhesiologische Praxis
jedoch zur Zeit noch keine routinemäßig einsetzbare Überwachungsmöglichkeit. In erster
Linie ist durch Einsatz dieser Methode die Klärung wichtiger Fragen über das zeitlich
dynamische Verhalten sowie die regionale Ausdehnung der elektrischen Hirnstromaktivität
zu erwarten. So zeigte sich, daß die Generatoren der vertexnahen SEP-Komponente durch
Midazolam weitgehend unterdrückt und nicht nur in andere Regionen - von einer Ableitelektrode
fort - verschoben werden, während Antagonisierung durch Flumazenil zu einem Wiedererscheinen
über der gleichen Lokalisation führt. Insgesamt gesehen können zentralnervöse Benzodiazepinwirkungen
eher aus dem Verhalten des Spontan-EEG bzw. des EEG-Frequenzspektrums als aus dem
aus vielen EEG-Segmenten generierten relativ unspezifischen EP-Verhalten abgelesen
werden. Benzodiazepine können zur Sedierung gewählt werden, wenn aus diagnostischen
Erwägungen konstante subkortikale EP-Komponenten gefordert werden. Späte kortikale
EP-Komponenten sind sowohl der Vigilanz als auch Pharmakoneffekten unterworfen. Hierbei
können benzodiazepinbedingte Alterationen von Veränderungen anderer Genese (Intoxikation
mit Kombinationspräparaten, Trauma) zum großen Teil durch Flumazenil wieder rückgängig
gemacht werden.
Summary
Since the introduction of diazepam, flunitrazepam and midazolam into clinical practice
benzodiazepines have been increasingly used for premedication, induction of anesthesia,
and long-term sedation in the intensive care unit utilizing their anxiolytic and sedative
components. Intraoperative monitoring of central nervous structures has to take into
account the effects of benzodiazepines on the electroencephalogram (EEG) and evoked
potentials (EP) before their contribution to alterations in brain electrical activity
during balanced anesthesia with combination of different drugs can be evaluated. EEG
reflects the spontaneous brain electrical activity whereas EP are the averaged time-locked
electrical responses to external stimulation. They are thus able to assess the functional
integrity of afferent neuronal pathways from peripheral nerves to cortical areas.
The specific benzodiazepine antagonist flumazenil binds competitively to benzodiazepine
receptors and is able to induce a change in pharmacodynamic parameters, which i. e.
can be measured by EEG- and EP-recordings. Characteristical changes in the EEG after
benzodiazepine medication consist in an activation of higher EEG-frequencies simultaneous
to a decrease in alpha-activity. A facultative increase in delta-activity seems to
be dependent on the absolute dose administered and on the speed for intravenous injection.
Benzodiazepine-induced EEG-alterations can be reversed by flumazenil almost completely
but in the time course will change again in correspondence to the plasma levels of
the benzodiazepines and the half-time of flumazenil. Cortical EP-components are suppressed
by benzodiazepines whereas subcortical generated potentials are not altered. Brain-electrical
activity imaging by multichannel recordings and mathematical interpolation for isovoltage
lines across the scalp facilitates topographical location of drug-induced alterations
of the generator sites for electrical activity. This new method at this time is not
a routine monitoring method but may provide deeper insight into the time-dependent
dynamic variations of EEG- and EP-activity after drug administration. Utilizing this
technique it could be demonstrated that the EP-vertex potential is not shifted into
other brain regions but completely suppressed by midazolam sedation. This EP-generator
behavior cannot easily be detected by commonly used single electrode recordings. Flumazenil
leads to an almost complete reversal of the midazolam effects with restoration of
the studied EP in the same topographical locations compared to control recordings.
In summary, central nervous effects of benzodiazepine medication can be more easily
seen in the spontaneous- or spectral-EEG than in the rather unspecific alterations
in late EP-components. Subcortical EP-components may be reproducibly recorded during
benzodiazepine sedation. Late cortical EP-components are dependent on the intra- and
interindividual variability in vigilance which may mimic drug-induced effects.